© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/09 18. September 2009

Im Visier linksautonomer „Haßbrenner“
Brandanschläge in Berlin: Schon jetzt übersteigt die Anzahl der angezündeten Fahrzeuge die Summe des gesamten Vorjahres
Hinrich Rohbohm

Es ist Nacht in Kreuzberg. Stille. Nur vereinzelt sind Leute unterwegs. Alles ist so ruhig und normal, daß es für Kreuzberger Verhältnisse fast schon wieder unnormal sein könnte. Und doch: War da nicht ein Geräusch? Stimmen sind zu hören. Gelächter, Gefeixe. Dann ein Scheppern. Haben sie wieder zugeschlagen?

Nein. Kein Knall, keine Flammen. Brennende Autos sind nicht zu sehen. Zwei Jugendliche hatten lediglich eine Blechbüchse über die Straße gekickt, unterhalten sich, grölen in die Nacht hinein. Heute nacht bleibt es friedlich in Berlin. Ausnahmsweise. Denn die Autofahrer der Hauptstadt werden immer häufiger durch Brandanschläge auf ihren fahrbaren Untersatz terrorisiert.

Anfang September dieses Jahres waren innerhalb weniger Stunden gleich fünf Wagen der Oberklasse in Brand gesetzt worden. Zwei Fahrzeuge hatte es am Paul-Lincke-Ufer erwischt, zwei in der Dresdener Straße und einen Wagen in der Admiralstraße. Inzwischen liegen der Polizei Bekennerschreiben vor, der Staatsschutz ermittelt.

 „Bis zum 8. September gab es in diesem Jahr bereits 103 politisch motivierte Anschläge auf Fahrzeuge“, sagt Polizeisprecher Guido Busch. Hauptsächlich würden die Täter in Pankow, Berlin-Mitte und in Friedrichshain-Kreuzberg zuschlagen. Gegenden, die als Hochburgen der linksautonomen Szene gelten. Dabei wurden 157 Pkws „abgefackelt“, weitere 53 in Mitleidenschaft gezogen. Zumeist handelt es sich dabei um Wagen der Oberklasse, die als Anschlagsziel dienen. Mercedes, Porsche oder BMW. Auch Geländewagen mußten des öfteren dran glauben. Schon jetzt übersteigt die Anzahl der angezündeten Fahrzeuge die Summe des gesamten Vorjahres. So habe es nach Angaben der Berliner Polizei im Jahr 2008 lediglich 73 Anschläge gegeben. 

Auch in Hamburg schlugen die Feuerteufel zu. In diesem Jahr sind 31 Autos nach Anschlägen niedergebrannt. Beim Schanzenfest am vergangenen Wochenende, wo es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Linksextremisten gekommen war, brannten in den Stadtteilen Othmarschen und Altona sogar drei Wagen gleichzeitig. Die Ordnungshüter in der Hansestadt wollen jetzt den Polizeihubschrauber „Libelle“ einsetzen, mit dem sie per Wärmebildkamera nachts Fahndungen vornehmen zu können. Doch woher kommt der Haß, die  abgrundtiefe Abneigung gegen teure Autos?

Handelt es sich bei den Tätern um Linksextremisten? Kommunisten, die Porsche-, Mercedes- oder BMW-Wagen als Symbolfigur eines von ihnen verhaßten kapitalistischen Systems sehen? Sind es militante Umweltschützer, die sich am Nobelgefährt abreagieren, weil ein Oberklasse-Wagen als verschwenderische Benzinschleuder gilt? Oder ist es einfach nur blinder Vandalismus, Ausdruck von spontaner Zerstörungswut ohne Sinn und Motiv?

Ohne Zweifel dürfte von allem etwas dabei sein. Wann oder wo die Täter zuschlagen, ist vollkommen unklar. Zu leicht ist es, des Nachts in irgendeiner Straße mit simplen Grillanzündern ein Auto in Flammen zu setzen. Und ehe das Gefährt richtig zu brennen beginnt,  haben sich die Täter längst aus dem Staub gemacht. Trotzdem verdichten sich die Hinweise, daß die Anschläge Teil einer linksextremistischen Strategie sein könnten. Während es in Hamburg keine Bekennerschreiben gibt, gibt es in Berlin  stichhaltige Anhaltspunkte dahin, daß es sich um gezielte politische Taten handeln könnte. „Wir haben mittlerweile mehrere Bekennerschreiben erhalten“, betont Polizeisprecher Guido Busch. 

Eines stammt von einer Organisation mit dem Namen „Bewegung militanter Widerstand“ (BMW). Die Gruppe behauptet, acht Fahrzeuge in Friedrichshain, Neukölln, Kreuzberg und Berlin-Mitte angezündet zu haben. Als Begründung gibt sie die „Umstrukturierung“ ärmerer Bezirke an. Ihr Motto: „Brennende Nobelkarossen versus Gentrifizierung“. Übersetzt aus dem linksextremistischen Jargon bedeutet dies: Vertreibung von Mietern aus ihrem Wohngebiet aufgrund von Luxussanierungen. Einen Hinweis darauf, wo die Brandanschläge bevorzugt verübt werden, liefert „BMW“ auch gleich noch mit: In Gegenden, die von der „Vertreibung“  am  stärksten betroffen seien. Zugleich hatte die Gruppe zu ihrem Schreiben eine Bedienungsanleitung für das Anzünden eines Autos mitgeliefert.

Inzwischen ist auch ein wenig Licht in die Ermittlungen über die Tätergruppen gekommen. Polizisten in Zivil, die gezielt nach sogenannten „Haßbrennern“ Ausschau halten, können erste Erfolge vorweisen. So ermittelten die Beamten vierzehn Verdächtige, von denen sich derzeit sieben in Untersuchungshaft befinden. Sechs von ihnen wird zur Last gelegt, Autos aus politischer Motivation angezündet zu haben. Dabei haben zumindest drei der mutmaßlichen Täter offensichtliche Verbindungen zur linksextremistischen Szene.

Somit könnten die Anschlagsserien möglicherweise bald ein Gesicht bekommen. Etwa durch die 21jährige Alexandra R., Mitglied der antifaschistischen Berliner Anti-Nato Gruppe (BANG). Bereits am 1. Mai war R. in Hamburg mit dem Gesetz in Konflikt geraten, als sie ein Bankgebäude mit Steinen bewarf. Vorbestraft ist sie dennoch nicht. Sie war lediglich zu Sozialstunden verurteilt worden.

Ein weiterer mutmaßlicher Täter: Christoph T. (22), der beschuldigt wird, mit einem 20 Jahre alten Komplizen Mitte Juni einen VW-Passat in der Pettenkoferstraße in Friedrichshain in Brand gesetzt zu haben. Er soll mit typischer Kleidung aus der linksextremistischen Szene erwischt worden sein. Und der Niederländer Niels V. (24) wurde im Juni während der linksautonomen „Action Weeks“ festgenommen. Er wird beschuldigt, zusammen mit einem 18jährigen einen Mercedes in der Adalbertstraße in Kreuzberg in Brand gesetzt zu haben.

Entlarvend: Die drei Inhaftierten erhalten nach ihrer Festnahme prompt Unterstützung aus der linksextremistischen Szene. Etwa von Anarchist Black Cross (Anarchistisches Schwarzes Kreuz), kurz ABC genannt, eine 1905 in Rußland gegründete internationale Organisation, die inhaftierte Anarchisten unterstützt. Auf der linken Informationsplattform Indymedia schreibt ABC in bezug auf die Festnahmen: „Ob die Gefangenen nach den staatlichen Vorgaben als ‘schuldig’ oder ‘unschuldig’ gelten, interessiert uns nicht. Wir dürfen unsere Solidarität nicht beschränken, sondern für alle dasein, die mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln ihren Beitrag zum Kampf gegen Staat und Kapital leisten.“

Alexandra R. gilt als militante Antifa-Aktivistin. Auch der von Linksextremisten getragene Verein „Rote Hilfe“ scheint sie zu unterstützen. Im Internet ruft die Antifa bezüglich des Falles von R. zu Spenden auf das Konto des Vereins auf. Dies geschieht auch auf der Netzseite von „Political-prisoners.net“, auf der unter anderem für eine Sympathiekampagne zugunsten der Roten Armee Fraktion (RAF) geworben wird.

Mittlerweile sind die Brandanschläge aber auch ein Problem für die Berliner Politik geworden. So wirft die Opposition dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit vor, nicht entschlossen genug gegen die Linksextremisten vorzugehen, um den kommunistischen Koalitionspartner von der Linkspartei bei Laune zu halten.

Kreuzberger Autofahrer lassen sich unterdessen nicht aus der Ruhe bringen. „Wenn es mich erwischt, dann ist das nun mal so, dann habe ich eben Pech gehabt“, ist der Tenor nicht weniger Anwohner. Zusätzlich heizte der Chef des Landeskriminalamtes, Peter Michael Haeberer, die Diskussion an. Der hatte zu den Brandanschlägen vor dem Innenausschuß gesagt: „Würde ich meiner Frau einen Brillantring kaufen und sie würde ihn unter einer Laterne liegenlassen, würde ich mich auch wundern.“ Ein Satz, der den Kreuzbergern übel aufstößt. „Was soll ich machen, eine Garage ist teuer“, meint ein VW-Golf-Fahrer, der über den „Witz“ des LKA-Chefs „nicht lachen“ kann.

Basierend auf Meldungen der Berliner Polizei (www.berlin.de/polizei) sammelt ein Team der Tripsbytips GmbH (Reiseunternehmen) Daten zu brennenden Autos in Berlin und visualisiert sie im Internet unter www.brennende-autos.de.

 

Stichwort: „Anarchist Black Cross Berlin“

Die 1905 in Rußland gegründete Organisation „Anarchist Black Cross“ (ABC) unterstützt inhaftierte Anarchisten und organisiert für sie Solidaritätsaktionen. Darüber hinaus fordert sie die Abschaffung aller Haftanstalten, da ihre Mitglieder der Überzeugung sind, daß Gefängnisse lediglich der Erhaltung der herrschenden Klasse dienen. ABC unterhält zahlreiche Unterorganisationen in mehreren Ländern. Auch in Berlin existiert eine Gruppe, die sich mit den mutmaßlichen Autobrandstiftern solidarisch erklärt und in deren Namen zu Spenden an die linksextremistische Rote Hilfe aufruft (www.abc-berlin.net).

Fotos: Berlin-Friedrichshain (Rigaer Straße): Bisher ermittelte die Polizei vierzehn Verdächtige, von denen sich sieben in Untersuchungshaft befinden,  Schmiererei an Hauswänden

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