© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/09 18. September 2009

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Konsequenzen
Karl Heinzen

Ganze fünfzig Jahre mußten nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes verstreichen, bis sich der Deutsche Bundestag im Jahr 1999 endlich dazu durchrang, jenen Menschen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die die Nazis als „Deserteure“ gebrandmarkt und verfolgt hatten. Nun, weitere zehn Jahre später, hat er endlich auch die sogenannten „Kriegsverräter“ rehabilitiert. Die gegen sie ergangenen NS-Urteile wurden pauschal aufgehoben, die „Ehre und Würde einer lange vergessenen Opfergruppe“, so Justizministerin Brigitte Zypries (SPD), wiederhergestellt.

Zwar gab das Hitler-Regime vor, unter „Kriegsverrat“ Handlungen zu verstehen, die als „Feindbegünstigung“ anzusehen wären. Seinem Willkürcharakter gemäß konnte es unter diesem Vorwand aber schlichtweg alle mit drakonischen Strafen belegen, die ihm als irgendwie mißliebig erschienen. Kleinmütige Bedenken, ob in eine Rehabilitierung nicht auch Delinquenten einbezogen würden, die sich objektiv eines Vergehens schuldig gemacht hätten, sind vom Parlament daher zu Recht nicht berücksichtigt worden. Zudem ist darauf hinzuweisen, daß die „Feinde“ der Nazis nicht solche der Bundesrepublik sein können und einzig deren Begünstigung mit den Werten des Grundgesetzes im Einklang steht.

Zu befürchten ist allerdings, daß durch die Entscheidung des Bundestages wieder einmal der Mentalität Vorschub geleistet wird, es sei doch Zeit für einen Schlußstrich unter das NS-Unrecht. Tatsächlich ist aber nur ein weiteres kleines Etappenziel auf dem langen Weg seiner Aufarbeitung absolviert. Unverändert gilt es, aus der Erkenntnis, daß ein totalitäres Regime weder Recht setzen noch Recht sprechen kann, alle Konsequenzen zu ziehen. So sind sämtliche Urteile, die von Gerichten in der Nazizeit ergangen sind, ausnahmslos aufzuheben. Wer hier auf Einzelfallprüfung beharrt, betreibt eine letztlich sogar strafwürdige Verharmlosung. Allen, zu deren Ungunsten damals in Straf- oder Zivilprozessen entschieden wurde, und auch deren Nachfahren muß die Möglichkeit geboten werden, die Verfahren neu aufzurollen.

Zu bedenken ist ferner, daß es Opfer vermeintlicher Rechtsprechung auch nach 1945 gegeben hat. Inhaltlich und personell stand die Justiz der frühen Bundesrepublik in der Kontinuität der NS-Zeit. Wie soll es unter diesen Bedingungen zu akzeptablen Urteilen gekommen sein? Und auch die Nachfolger der Tätergeneration an den Gerichten sind keineswegs unbescholten: Dadurch, daß sie deren Rechtsbeugung verschwiegen, setzten sie sich vielmehr selbst ins Unrecht.

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