© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/09 25. September 2009

Die Einheit alles Seienden
Seltene Beobachtungsgabe: Zum fünfzigsten Todestag des nationalen Schriftstellers Hans Grimm
Hans-Georg Meier-Stein

Hans Grimms Name und Werk sind heute fast vergessen. Nur der Titel seines überaus erfolgreichen Romans „Volk ohne Raum“ ist gelegentlich noch bekannt und wird dann meist als agitatorische Formel der NS-Propaganda mißverstanden und in moralisch-distanzierendem Unterton ausgesprochen. Die seltenen Versuche, Grimm literarisch zu rehabilitieren und seinem Œuvre die verdiente Anerkennung wieder zukommen zu lassen, sind ins Leere gegangen, denn Grimm bleibt auch als Repräsentant konservativer, altdeutscher Bürgerlichkeit eine unerwünschte Person.

Grimm stammt aus groß- und bildungsbürgerlichem Milieu, wo – wie er in seinen Jugenderinnerungen schreibt – „gute Musik und gute Bücher und die schöne edle Form“ gepflegt wurden. Der Vater der Mutter war Juror auf verschiedenen Weltausstellungen, Grimms Großvater väterlicherseits Beaufsichtiger des hessischen Schulwesens und Vertrauensmann des Kurfürsten.

Der Vater des Schriftstellers, Jahrgang 1821, studierte Jurisprudenz und war zuerst Professor in Basel, dann Generalsekretär der französisch-österreichischen Südbahngesellschaft und führte als solcher in der Nähe von Wien einen fast fürstlichen Hausstand. Er widmete sich dabei sehr intensiv seinen literarischen Neigungen und der von ihm zusammengetragenen Gemäldegalerie. Nach seinem Ausscheiden übernahm er die Führung des Nassauischen Kunstvereins in Wiesbaden, entfaltete aber daneben noch rege politische Tätigkeiten: Er wird Gründer der Burschenschaft Frankonia in Marburg und des deutschen Kolonialvereins, zusammen mit Lüderitz und dem jungen Carl Peters. Zu seinem Freundeskreis gehören Andreas Heusler (d. Ä.), Julius Ficker, der Altphilologe Karl Simrock und Karl von Etzel, der Erbauer der Brennerbahn.

Hans Grimm wurde am 22. März 1875 in Wiesbaden geboren. Er studierte in Lausanne und Berlin Literaturwissenschaft, trat aber bald in das Kolonialinstitut in Hamburg ein und ging von dort 1895 nach London, um eine kaufmännische Ausbildung zu absolvieren, 1897 schließlich nach Südafrika. In Port Elizabeth arbeitete er einige Zeit als Angestellter im Kontor eines deutschen Unternehmers, machte sich jedoch bald als Kaufmann selbständig und erlebte dabei im Kapland und in Deutsch-Südwestafrika ein abenteuerliches Hin und Her. 1911 kehrte nach Deutschland zurück, studierte jetzt Staatswissenschaften und arbeitete an der Herausgabe seines Reisetagebuchs und an seinen „Südafrikanischen Novellen“.

Im Ersten Weltkrieg war er zuerst als Kanonier an der Westfront eingesetzt, dann als Kolonialexperte in der Auslands-Abteilung der OHL. Hier arbeitete er mit Waldemar Bonsels, Friedrich Gundolf, Arthur Moeller van den Bruck und Börries von Münchhausen zusammen. 1918 kaufte sich Grimm in dem reizvollen Flecken Lippoldsberg an der Weser ein stattliches Anwesen innerhalb eines alten Benediktiner-Klosters. Grimm lebte hier – unterbrochen von etlichen Reisen – bis zu seinem Tod 1959.

Die literarische Kritik hat immer wieder betont, daß die Erzählungen, die Grimm aus seinen afrikanischen Erlebnissen heraus geschrieben hat, das Beste seien in seinem ganzen Werk. Und tatsächlich sind sie – obgleich heute vergessen – in ihrer Qualität unbestritten. Sogar Tucholsky fand lobende Worte – unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel schrieb er 1928 in der Weltbühne, aus ihnen spreche „eine sanfte Verträumtheit, die dem sonst so erfahrenen und real bewanderten Mann merkwürdig zu Gesicht steht“.

Was die Erzählungen Grimms so originell, wertvoll und lesenswert macht, sind die sehr lebendigen, wirklichkeitsnahen Schilderungen von Völkern, Milieus ganz unterschiedlicher Wesensart: Da begegnen wir weißen Farmern und Siedlern; Kaufleuten, Händlern und Angestellten; schwarzen Landarbeitern und Wegebauern; Jägern, deutscher Polizei und englischen Soldaten in einsamen Forts; Kaffern, Hereros und Hottentotten. Den Hintergrund dieser vielschichtigen Szenerien bildet oft die kriegerische Auseinandersetzung zwischen Buren und Briten. Grimm erweist sich als ein virtuoser Darsteller menschlicher Charaktere mit ihren starken oder heimlichen Wünschen, Sehnsüchten und Gemütsbewegungen, ihren Ambitionen, Ressentiments und Lebensbedürfnissen.

Grimm schildert aber auch eindrucksvoll die pittoreske afrikanische Landschaft mit ihrem wilden, wirren Buschwald, den Savannen, den gottverlassenen Steppen und Wüsten in ihrer Stummheit, mit ihrer exotischen Tierwelt und deren Tausenden von Stimmen. Der Leser unternimmt Streifzüge und Entdeckungsreisen und wird von der eigentümlichen Stimmung eingenommen.

So lebendig und episch-reich Grimm aus den Erfahrungen seines Lebens zu erzählen weiß, so liegt doch über allem eine gewisse Schwermut, eine nicht ausgesprochene Trauer, weil Schicksale meist scheitern, große Hoffnungen meist uneingelöst bleiben, Schicksal und Wunscherfüllung weit auseinander liegen. Der ernste Blick auf das Geschehen ist verbunden mit der Erkenntnis von der Einheit alles Seienden. All dies ist mit leichter Hand, fast im Chronikstil geschrieben. Die Form des Ausdrucks und der Sprache ist einfach, aber frei von den Roheiten der Naturalisten und der Moderne, ein konservativ-praktisches Verharren bei den Realitäten des täglichen Lebens, eine Mischung aus klarem Wirklichkeitssinn und einfühlender Phantastik.

Die große Resonanz dieser Erzählungen hat nicht zuletzt ihren Grund darin, daß ihre Publikation in eine Zeit fällt, die fasziniert war von den Bildern exotischer Welten, die ihre Vorliebe entdeckt für fremde, von den Europäern damals wenig besuchte Länder, für Indien, Mexiko und die Inselwelt im fernen Asien. Unter deutschen Dichtern kursiert zeitweilig der überspannte Plan, in der wilden Natur der Tropen ein neues ideales Leben zu beginnen. Emil Strauß ging für einige Zeit nach Brasilien, Max Dauthendey endete tragisch in Java, Hermann Hesse schwärmte unendlich für Indien. Und Bernhard Förster, der Schwager Nietzsches, gründete eine lebensreformerische Kolonie in Paraguay.

Auch in seinen Romanen beweist Grimm seine seltene Beobachtungsgabe in der Exaktheit der realistischen Schilderung, aber die Unmasse des Materials läßt hier mitunter die künstlerische Komposition und artistische Formung vermissen. Das Gesamtgeschehen ist jeweils der spezifischen deutschen Tradition des Bildungs- oder Entwicklungsromans verpflichtet; die Hauptfiguren sind nach der Leitidee der Persönlichkeitsbildung gestaltet und für den Leser auch Appell an die eigene Tüchtigkeit und Tatkraft, an Mut, Enthusiasmus und Selbstdisziplin.

„Der Ölsucher von Duala“ (1918), den Grimm auf Drängen von Reichskolonialminister Solf schrieb, schildert das Leiden der deutschen Zivilisten in den verlorenen Kolonien. Der Roman ist ein eindrucksvolles Protokoll der Ereignisse, denn der Verfasser arbeitet mit dokumentarischem Material.

Seine Absicht war, den alliierten Anklagen ein Spiegelbild des eigenen Fanatismus entgegenzuhalten. „Volk ohne Raum“ (1926) ist ein programmatisches Werk, das romantische Zukunftsvisionen von einem Leben in den Weiten Afrikas entwickelt.

Grimm hat den Nationalsozialismus als großen revolutionären Aufbruch und als impulsive Volksbewegung, vergleichbar mit der deutschen Reformation, zunächst begrüßt. Die Explosivität dieser radikalen Potenz ist ihm wohl dabei nicht bewußt geworden. Indessen sah er sich nach der Machtübernahme alsbald den Auswirkungen der totalen Herrschaftsform ausgesetzt.

Schockiert von Wahlfälschungen und vielerlei Übergriffen beklagte er sich immer wieder und hartnäckig bei höheren Partei- und Regierungsstellen, schließlich sogar bei Innenminister Wilhelm Frick, über die Gewaltakte und den brutalen Umgang mit sozialistischen Arbeitern und einem jüdischen Zahnarzt in seiner Umgebung. Seiner bürgerlichen Herkunft nach hatte er sich ein Bewußtsein für die Normen übergeordneter Verantwortlichkeit bewahrt und glaubte auch, gerade weil er den Nationalsozialismus begrüßt hatte, dessen Entartungen entgegenwirken zu müssen. Freilich kam ihm dabei zustatten, daß er aufgrund seines hohen Bekanntheitsgrades nicht einfach übergangen und kaltgestellt werden konnte.

Mit besonderem Nachdruck setzte sich Grimm allerdings für den patriotischen jüdischen Schriftsteller, Kunsthistoriker und Gelehrten Paul Landau ein, der als Sektionsleiter der Pressestelle bei der Auslandsabteilung der OHL während des Ersten Weltkriegs Grimms Vorgesetzter war, so daß es für Grimm gewiß auch kameradschaftliche Beweggründe gab, dem in seiner Existenz bedrohten Mann zu helfen.

Wer sich mit moralischen Initiativen so herausfordernd exponierte, mußte freilich mit zunehmenden Schwierigkeiten rechnen, zumal Grimm immer wieder seine Nichtzugehörigkeit zur Partei betonte. Dies alles führte schließlich zum Zerwürfnis mit Goebbels, der als Minister für Volksaufklärung nun das arcanum imperii des Kulturbetriebs besaß und seine Anordnungen als letztverbindliche Entscheidungen ansah.

Grimm, wider Willen von Goebbels zu einem Gespräch in Berlin gedrängt, erkannte, daß der machtkundigen Intelligenz des Demagogen alle Grundsätze von Humanität gleichgültig waren und daß es für ihn keine Möglichkeit gab, das eine oder andere zu erreichen. Aber von dem niederträchtigen Versuch der Einschüchterung hat sich Grimm nicht beeindrucken lassen und seinem perplexen Gegenüber unerschrocken erklärt, daß er sich zu den verlangten Gehorsamsübungen nicht bereitfinden könne. Dem Verzicht auf Selbständigkeit und eigenes Urteil standen Grimms bürgerlicher Stolz und das Eigengewicht seiner Person entgegen.

Fortan sah er sich freilich mißtrauischer Beobachtung ausgesetzt, und die Dichtertreffen, zu denen Grimm Autoren und Verehrer nach Lippoldsberg zusammenrief, wurden argwöhnisch kontrolliert. Das um so mehr, nachdem er, wie andere Prominente um einen Beitrag zu Hitlers fünfzigstem Geburtstag angesprochen, ein solches Ansinnen als „platte Lobhudelei“ zurückwies. Korrumpierbar war Grimm nie.

Und ungehorsam auch nach dem Krieg, in der Zeit der Reeducation, der massenhaften Kehrtwendungen, in quälenden Auseinandersetzungen mit kleinlichen Kulturfunktionären. Mit der ihm eigentümlichen Hartnäckigkeit, auch mit gelegentlichem Starrsinn, der sich mit der Zahl der Feinde einstellte, kämpfte er gegen das Nichtkennen und Verschweigen deutschen Leidens und „gegen die Tatsache, daß fremde Garnisonen Macht über unsere Lebensideale, ja über unsere Seelen gewonnen haben, und daß sie dies geschafft haben, weil sie einst mit der Waffe in der Hand gekommen sind“ – wie Friedrich Sieburg in jenen Tagen schrieb. Den Anklagen der Welt gegen Deutschland und den haßerfüllten Zwangsvorstellungen Thomas Manns, den Carl Schmitt als „Verwerter“ der Niederlage verhöhnte, hat er in umfangreichen Gegendarstellungen geantwortet.

Anfang der fünfziger Jahre engagierte sich Grimm als nationalkonservativer Wortführer in der später verbotenen Sozialistischen Reichspartei (SRP). Den Hitlerismus mit seinem Gewaltwillen hatte er immer abgelehnt, aber an das Ideal einer sozialistischen, nationalen Volksgemeinschaft weiterhin geglaubt.

Hans Grimm starb am 27. September 1959.

Weitere Informationen im Internet unter www.klosterhausbuch.de

Fotos: Hans Grimm (1935): Korrumpierbar war er nie, Hans Grimm, Volk ohne Raum

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