© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/09 02. Oktober 2009

Tag der deutschen Armut
Coca Cola in Berlin, Inlineskaten in Leipzig: Deutschland braucht endlich einen Nationalfeiertag
Stefan Hug

Die muslimischen Verbände in der Bundesrepublik laden wieder zum „Tag der Offenen Moschee“. Seit 1997 wird er begangen, und zwar immer am Tag der Deutschen Einheit, dem 3. Oktober. Die Netzseite des Zentralrats der Muslime informiert über dieses Zusammenfallen beider Termine: „Der bewußt gewählte Zeitpunkt am Tag der Deutschen Einheit soll das Selbstverständnis der Muslime als Teil der deutschen Einheit und ihre Verbundenheit mit der Gesamtbevölkerung zum Ausdruck bringen.“

Soweit die Öffentlichkeitsarbeit der muslimischen Verbände. Ungefähr die Hälfte aller Muslime hat keinen deutschen Paß, die weitaus meisten Moscheen in Deutschland werden in Trägerschaft der Ditib errichtet, der staatlichen Religionsbehörde des türkischen Staates (JF 3/08). Inwiefern Muslime und Moscheen Teil der deutschen Einheit sein sollen, bleibt deshalb rätselhaft. Man kann den Funktionären dieser Verbände allerdings keinen großen Vorwurf machen; zu günstig war für sie die Gelegenheit, einen arbeitsfreien Tag zur Werbung für ihre Sache zu nutzen. Daß der 3. Oktober den Deutschen offensichtlich nichts Wesentliches bedeutet, kommt ihnen dabei sehr entgegen.

In den USA oder auch in Frankreich würden Vertreter religiöser Partikular-interessen niemals darauf kommen, sich ausgerechnet am Nationalfeiertag ins Rampenlicht zu setzen. Der 4. Juli gehört allen US-Amerikanern wie der 14. Juli allen Franzosen. Sie werden begangen wie große Volksfeste und enden nicht selten in großen Besäufnissen. Das ändert nichts an ihrem symbolischen Gehalt, sie werden dadurch nicht entwürdigt. Im Gegenteil ist die Erinnerung an den revolutionären Ursprung ihrer Staatsform die Legitimation für solche Exzesse. Noch dem Dümmsten wird dabei einprägsam vermittelt, daß die persönliche Freiheit mit der demokratischen Staatsform verknüpft ist. Der Sturm auf die Bastille 1789 wird zum Anlaß und Vorbild für den Sturm auf den eigenen Weinkeller.

Aus dem 3. Oktober ein großes Volksfest zu machen, ist offenbar ebenfalls das Ziel der politischen Führung dieses Landes. Seit Jahren werden mit wachsenden Besucherzahlen Feierlichkeiten zum Tag der deutschen Einheit veranstaltet. Allerdings liegt diesen von oben verordneten Feiern kein historisches Ereignis zugrunde, das Millionen Menschen aufrührt. Es ist schlicht und einfach der Tag, an dem die DDR formal der Bundesrepublik beitrat – fast ein Jahr nach dem Mauerfall am 9. November 1989, dessen bewegende Bilder um die Welt gingen.

Mit Hinweis auf die organisierten antisemitischen Ausschreitungen des 9. November 1938 wurde nach der Wende ein Nationalfeiertag an diesem Datum verhindert. Der 3. Oktober aber ist im Gegensatz zum 9. November blutleer und seelenlos, zumindest als Feiertag der Deutschen. Er taugt gerade mal zur Offenen Moschee und zur Werbung für Konzerte. So lädt die „Coca-Cola Soundwave Disovery Tour“ am 3. Oktober ein, mit „Bands aus Ost und West“, „renommierten Headlinern“ sowie „vielversprechenden Newcomern“ zu feiern. Daß das vor der Kulisse des Brandenburger Tors stattfindet, dürfte für das Publikum nebensächlich sein, ein beliebiges Stadion täte es genauso … 

Ein trauriges Bild bietet auch Leipzig, das mit seinen Montagsdemonstrationen 1989 zum Sinnbild für das Scheitern des SED-Regimes wurde und in diesem Zusammenhang als „Heldenstadt“ in die Geschichte einging. Damals wurden Schilder hochgehalten, auf denen „Wir sind das Volk“ geschrieben stand. Und heute? Am 3. Oktober veranstaltet man dort ein „Interkulturelles Fest“ unter dem Motto „Einheit in Vielfalt“. Angeboten wird Indischer Tanz, Latin-Tango-Jazz, Flamenco und Halay – „ein national-folkloristischer türkischer Tanz, der die stürmisch-rhythmische Lebensweise der anatolischen Bewohner symbolisiert“. Den krönenden Abschluß bildet ein „Inline­skating für Einheimische und Migranten“.

Wo und wann wird bei solchen Veranstaltungen das Glück der Einheit beschworen? Wo und wann die Gewalt und die Schmerzen der Teilung, die vor ihr lagen?

Seit Jahren wird der 17. Juni 1953 von Historikern als Anfang des langen Endes der DDR gedeutet. Bereits damals erwies sich, daß das kommunistische System im Grunde die ganze Bevölkerung gegen sich hatte. Die Führung der DDR antwortete mit dem Aufbau eines Überwachungsapparats, der selbst innerhalb des Warschauer Pakts seinesgleichen suchte – nirgends gab es mehr Spitzel in der Bevölkerung. Und doch konnten all diese Bemühungen den Untergang des Systems nicht verhindern. In dieser Perspektive erscheint der 17. Juni 1953 nur als ein vorläufig gescheiterter Anlauf zum (erfolgreichen) 9. November 1989. Es ist bedauerlich, daß dieses Datum nicht als nationaler Gedenktag beibehalten und mit neuem Leben erfüllt wurde.

Um falschen Eindrücken vorzubeugen: Das Ringen um einen Feiertag der Deutschen ist kein Problem der Bundesrepublik, sondern wesentlich älter. Bereits die Führung des Zweiten Deutschen Reichs war sich uneins in dieser Frage; die Bevölkerung feierte Kaisers Geburtstag und den Sedantag, der an den Sieg über Frankreich im Jahre 1871 erinnerte. Letzterer war in Süddeutschland unpopulär, da er als preußischer Feiertag betrachtet wurde – bei Sedan hatten vor allem preußische Truppen gekämpft.

Die Weimarer Republik war nicht besser. Ein Vorstoß der Nationalversammlung von 1919, den 1. Mai zum Nationalfeiertag zu bestimmen, scheiterte. Immerhin wurde der Sedantag abgeschafft.

Von 1921 bis 1932 war der 11. August der Nationalfeiertag. An diesem sogenannten „Verfassungstag“ war 1919 die Weimarer Reichsverfassung verkündet worden. Dieser Tag blieb ohne Verankerung im Volk, in vielen Ländern des Reiches war er nicht einmal gesetzlicher Feiertag. Die Nationalsozialisten erhoben den 1. Mai zum nationalen Feiertag, aber das war eher eine Konzession an die Arbeiter, die man damit gewinnen wollte. Der 7. Oktober, Staatsgründungs- und Nationalfeiertag der DDR, ging mit dieser unter.

Die Suche nach einem „richtigen“ deutschen Nationalfeiertag bleibt also akut, gerade weil die politische Elite diese Frage mit dem 3. Oktober erledigt sehen will. Aber dieser bietet der Bevölkerung kaum Anlaß zur Identifikation mit dem deutschen Gemeinwesen und seiner wechselvollen Geschichte.

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