© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/09 02. Oktober 2009

Im Würgegriff
Lorbeerkranz statt Standgericht: Kleists „Prinz von Homburg“ in Berlin
Harald Harzheim

Im Kriegsgebiet machte Lina (…) einen selbständigen Vorstoß à la Prinz von Homburg“, assoziiert Alfred Döblin in „Berlin Alexanderplatz“ (1927), als die Protagonistin „todesmutig“ zur Kündigung einer ungeliebten Arbeit schreitet. Das Beispiel zeigt, wie Kleists Brandenburger Kriegsheld seinen politischen Zeitrahmen früh verließ, zum Synonym tollkühner Courage geriet oder – während der NS-Zeit – stählerne Unterwerfungslust propagierte.

Um so überraschender, wenn im Hintergrund von Kriegenburgs aktueller „Prinz von Homburg“-Inszenierung ein Märkischer Adler prangt. Groß und golden, aber nicht stolz: Der Schnabel ist so weit geöffnet, die Augen zusammengekniffen, als würde er schreien. Um ihn herum: ein restlos roter Raum, auch die Kleidung der Protagonisten ist rot, so werden sie fast gänzlich geschluckt, gehen auf in einer Ordnungsmacht, die sich dem Gesetz und einer rationalen Ordnung verschrieben hat. Nur der Boden ist mit Wasser geflutet, weniger die Brandenburger Sumpflandschaft als den – unverdrängbaren – irrationalen Grund des Menschlichen illustrierend.

In diesem Raum träumt der Prinz von Homburg, ein Kleistscher Somnambul, von Ruhm, flechtet sich selbst den Lorbeerkranz. Diese Träumernatur, die auf Intuition, auf Gefühl setzt, trifft in der Schlacht um Fehrbellin eine Entscheidung, die – obwohl erfolgreich – dem strategisch-rationalen Weltbild des Kurfürsten zuwiderläuft. Weil der intuitive Erkenntnisformen nicht akzeptieren möchte, degradiert er Homburgs Erfolg zum bloßen „Zufall“, läßt ihn für seinen methodischen Aufstand zum Tode verurteilen. Hier hat der Romantiker Kleist seinen Krieg gegen die Aufklärung, den kantischen Rationalismus verewigt, der ihm – dem Traumgläubigen – das Lebensrecht zu nehmen schien. Paul Feyerabend, der lebenslang gegen sogenannte „Ratiofaschisten“ wütete, er hätte an diesem Drama seinen Spaß gehabt. So ist der Prinz von Homburg ein Held des Widerstands gegen die Dreistigkeit jedweden Universalismus. Auch bei Kriegenburg ist Homburg (Ole Lagerpusch) der Romantiker inmitten einer statischen, zombiebleichen Umwelt. Bei strategischen Erklärungen des Kurfürsten (Jörg Pose) wirkt er zerstreut, nur Wörter wie „Meuterei“ bringen seine Saiten zum Schwingen.

Als die Schlacht beginnt, tritt Homburg mit Wucht auf den Boden, daß dessen Wasser gegen die rote Wand spritzt. Die so benäßten Stellen sehen aus wie Blutflecken – ein Bild, das den Furor unbewußter Seelenkraft mit Splatter-Assoziation versieht. Schöner Regieeinfall, aber ihm fehlt die nötige Wucht. Und nicht nur hier: Kriegenburgs Widerwille gegen Kleists Wildheit und  Pathos hält die gesamte Inszenierung im Würgegriff. Dabei protestiert er nicht aggressiv gegen den Text, sabotiert oder kontrapunktiert ihn kaum, sondern läßt ihn ungestört, aber in gesenkter Temperatur durchlaufen.

Für sein eigenständiges Handeln findet sich der Prinz in der Todeszelle wieder. Trotzdem, er kann nicht an sein Ende glauben. Das ist keine Realitätsflucht. Nein, sein „Gefühl“, seine Intuition sagt, daß der Kurfürst ihn nicht töten wird. Auch damit wird er recht haben. Mag die hysterische Umwelt ihn noch so zur „Umkehr“ überreden, auf Begnadigung spekulieren wollen – der Prinz kann darüber nur lachen. Wie richtig Homburgs Intuition liegt, zeigt die Inszenierung, wenn der statische Kurfürst nun gebrochen, gekrümmt im Wasser sitzt. Dessen Universalismus hat durch Homburg einen gefährlichen Schlag erhalten, auch wenn er (noch) die Macht zur Vernichtung besitzt.

Mit der Figur der Prinzessin Natalie von Oranien (Barbara Heynen), Homburgs Verlobter, hat Kleist die homöopathische Version seiner prächtigen Frauengestalten wie Penthesileia oder Käthchen von Heilbronn geliefert: Wenn auch nicht mit Homburgs Somnambulismus und Radikalität begabt, argumentiert sie gegenüber dem Kurfürsten für eine „emotionale Ordnung“.

Zuletzt will der Deliquent sterben. Er erkennt, daß in solcher Weltordnung für ihn kein Platz ist. Zu sterben, das heißt für Homburg: in seine Welt, ins Reich der Träume gehen. Natürlich läßt der Kurfürst solch irrationalen Märtyrertod nicht zu, begnadigt ihn und will dem Kriegsheld statt der Kugel einen Lorbeerkranz zukommen lassen. Anders als in der Vorlage spürt der Prinz, daß dies keine Rettung, sondern Vereinnahmung bedeutet. Er wehrt den Kranz ab, will flüchten, aber man packt den Erschlafften und präsentiert ihn dem Publikum  als Helden. So ist Homburg im Schlußbild ein gebrochener Widerständler, den man zuletzt als Systemmarionette, zum Establishment-Zombie aufbaut.

Regisseur Andreas Kriegenburg, der seine Lehrjahre an der Berliner Volksbühne absolvierte, als kleiner Castorf durch das Land tourte, kehrte jetzt nach Berlin zurück. Von der Spannungslosigkeit seines Mentors hat der heute 45jährige sich nicht emanzipieren können. Dafür inszeniert er seinen Pathoskiller so textgetreu, als hätte er sich Daniel Kehlmanns Salzburger Regietheater-Rede übers Klo gehängt. Das Premierenpublikum dankte mit viel Applaus.

Die nächsten Vorstellungen des „Prinz Friedrich von Homburg“ am Deutschen Theater, Schumannstr. 13a, finden statt am 2., 8., 21. und 27. Oktober. Internet: www.deutschestheater.de, Kartentelefon: 030 / 28 44 12 25

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