© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/09 02. Oktober 2009

Die Urknall-Maschine streikt
Der Start des größten und teuersten Experiments in der Teilchenphysik wird immer wieder verschoben / Forscher wandern frustriert ab
Michael Manns

Bei Genf steht die größte Maschine der Welt, und sie steht still. Wenn es ein Drama im Wissenschaftsbetrieb gibt, dann ereignet es sich hier 100 Meter unter dem Schweizer Jura. Seit Jahren wurde der größten Teilchenbeschleuniger Welt angekündigt (JF 37/07). Aufgeboten waren Tausende von Wissenschaftlern von Hunderten von Universitäten, ausgestattet mit Millionen-Etats. Doch seit dem offiziellen Start im September 2008 gibt es nur Verzögerungen.

Am 10. September 2008 erschien die erste Seite der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit einem ungewöhnlichen Layout: Ein großer runder schwarzer Punkt war dort im oberen Drittel plaziert mit der Überschrift: „Verschwinden wir im großen schwarzen Loch?“ Der Text begann mit dem pathetischen Satz: „Heute wird ein gigantisches Experiment gestartet.“ Der FAZ-Artikel war Teil eines Medienrummels, der wohl einzigartig war in der Geschichte der Wissenschaften. Ein goldenes Zeitalter der Physik wurde versprochen, die Weltformel wollte man finden, die Gottesteilchen, den Urknall simulieren. Und auch ein Nobelpreis sollte den CERN-Forschern winken. Doch bis jetzt nichts davon: Die Mutter aller Weltmaschinen brachte nur Räu­spern und Stottern zustande.

Vor zehn Jahren begann der Bau des Large Hadron Collider (LHC). Die europäische Groß-Forschungsstätte CERN wurde schon 1954 gegründet. Die unmittelbaren Kosten für das Projekt beliefen sich auf etwa drei Milliarden Euro. Bei der Bewilligung der Konstruktion im Jahr 1995 wurde ein Budget von 2,6 Milliarden Schweizer Franken (etwa 1,6 Milliarden Euro) für den Bau des LHC und der unterirdischen Hallen für die Detektoren veranschlagt. Jedoch wurden 2001 zusätzliche Kosten von etwa 300 Millionen Euro für den Beschleuniger festgestellt.

Deutschlands Anteil am CERN-Budget als größter Beitragszahler liegt bei 20 Prozent. So verkündet das Bundesministerium für Bildung und Forschung stolz: „Deutschland ein starker Partner“ – einer allerdings schwächelnden Super-Maschine. 2007 schon sollte die größte Entdeckungsmaschine anlaufen – Terminverschiebung. 2008 wieder eine Störung und neuer Termin. Dann wieder eine Panne. Bis jetzt ist aus der Reise zum Ursprung des Kosmos nichts geworden. Für Furore sorgte der LHC nur als Kulisse in dem Hollywood-Thriller „Illuminati“ (JF 26/09).

Letzter Stand: Zur Zeit sei man mit den „hoffentlich allerletzten Schweißarbeiten im Tunnel des Beschleunigers“ beschäftigt. Die Wasserstoffkerne will man wieder im November einspeisen und zirkulieren lassen. Die Protonen sollen zunächst mit einer Energie von 3.500 Milliarden Elektronenvolt umlaufen. Das ist die Hälfte der maximalen Energie, für die der Large Hadron Collider ausgelegt ist, so die Pressemitteilung. Rolf Dieter Heuer, Generaldirektor der europäischen Einrichtung ist zuversichtlich, daß die Maschine nach den Reparaturmaßnahmen Jahr 2010 reibungslos laufen werde. Im Klartext: Wenn alles klappt, läuft der LHC zunächst im Sparmodus an. Volle Pulle gibt es dann erst nächstes Jahr.

Dabei ist die Anlage beeindruckend. 2.500 Menschen arbeiten am CERN, darunter 8.000 Gastwissenschaftler von 580 Forschungseinrichtungen aus der ganzen Welt. Etwa 1.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stammen aus Europa. Die Weltmaschine selbst strotzt geradezu von Gigantomanie: Die 1.232 Magneten (sie halten die Protonen auf ihren Rennbahnen) sind im Prinzip große Spulen von Kabeln. Würde man die Drähte aneinanderknüpfen, reichten sie fünfmal von der Erde zur Sonne und zurück. Der LHC hat einen gewaltigen Stromhunger: 120.000 Kilowatt – fünfmal soviel, wie alle Privathaushalte im Kanton Genf verbrauchen. Riesige Datenmengen werden anfallen: Die vier großen Meßgeräte im Beschleuniger bestehen aus 150 Millionen Sensoren. Sie werden zusammen 700 Megabyte pro Sekunde Daten produzieren. Ein Stapel mit CDs von der Ausbeute eines Jahres würde eine Höhe von 20 Kilometern erreichen.

Doch auch der Frust besonders unter den jungen Teilchenjägern steigt. Sie wandern ab, da sie ihre Karriere in Gefahr sehen oder ihre Doktorarbeiten nicht fertigbekommen. Der österreichische Wissenschaftsminister wollte sogar ganz aussteigen, wurde aber dann zurückgepfiffen. Die kleine Alpenrepublik butterte 16 Millionen Euro in das Projekt. Auch in den Medien erheben sich erste kritische Stimmen: Von einer „Krise“ sprach Die Zeit im Juli, daß Vorfälle „verzwergt“ würden und sich langsam eine Wirklichkeitsverweigerung bei den verantwortlichen Physikern breitmache, die man nur von Politikern, Bankern und den Sowjets kenne.

Natürlich kann alles noch anders kommen und der Teilchenbeschleuniger Physikgeschichte schreiben. Aber das Unbehagen bleibt: Es ist gerade etwas über hundert Jahre her, da entwickelte ein Mitarbeiter des Berner Patentamts ein revolutionäres Modell in der Physik. Albert Einstein brauchte für die Relativitätstheorie nur Papier, Tinte und seinen Kopf. Der gigantomanische, kapitalgesättigte Apparat des CERN mit seinen Bataillonen von Physikern dagegen steht still.

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