© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/09 02. Oktober 2009

Viktor Krawtschenko – Die Affäre des moskauhörigen Paris: Ein spannendes Stück Zeitgeschichte auf Arte
Frankreichs Intellektuelle wollten vom Gulag nichts wissen
Günther Deschner

Januar 1949. Mitten im Kalten Krieg landet ein ehemaliger hoher Sowjetbeamter, der sich fünf Jahre zuvor in die USA abgesetzt hatte, auf französischem Boden.“ Mit dieser Szene beginnt die Dokumentation. Krawtschenkos Autobiographie, 1946 erschienen, hat den Dissidenten zum Bestseller-Autor gemacht. „Ich wählte die Freiheit“, so der Titel, erregte wegen der Darstellung der Sowjetunion als totalitären Staats großes Aufsehen und wurde in 22 Sprachen übersetzt. Allein in Frankreich wurden 500.000 Exemplare verkauft. Krawtschenko beschreibt darin, warum er 1944 bei einem Aufenthalt in Washington die US-Behörden um Schutz gebeten hatte, und legt die Verbrechen des Sowjetregimes offen. Daraufhin verunglimpfte ihn die kulturelle Wochenzeitung der französischen Kommunistischen Partei, Les lettres françaises, als Lügner und westlichen Spion.

Krawtschenko strengte einen Verleumdungsprozeß gegen das Blatt an. In einem mit Journalisten überfüllten Verhandlungsraum brachte Krawtschenko Zeugen bei, die zum ersten Mal von der Hungersnot in der Ukraine, den Säuberungen und – 15 Jahre vor Solschenizyn – von der Hölle der Gulag berichteten. In dem neunwöchigen Prozeß bestritten prominente französische Linksintellektuelle wie der Nobelpreisträger Frédéric Joliot-Curie, aber auch der berüchtigte „Rote Dekan“ von Canterbury, Hewlett Johnson, als Zeugen der Verteidigung die Existenz von Straflagern in der Sowjet­union und stellten sie als Hort der Humanität und als „universales revolutionäres Projekt der Hoffnung der Menschheit“ dar. Doch die Zeugen der Anklage, ehemalige Lagerinsassen, die über die Ausmaße des Elends berichteten, gaben den Ausschlag. Das Gericht sprach die Beklagten wegen Verleumdung schuldig. Krawtschenko wurde später unter nie ganz aufgeklärten Umständen in seiner Wohnung erschossen aufgefunden – offiziell „Selbstmord“. Ein spannendes Stück Zeitgeschichte.

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