© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/09 09. Oktober 2009

Asyl in der Opiumhöhle
Erich und Margot Honecker fanden 1990 nach ihrem Sturz Zuflucht in der Obhut der Kirche / Der Pfarrer Uwe Holmer erinnert sich
Jörg Bernhard Bilke

An Pfarrer Uwe Holmer aus Lobetal, der 1990 weltweit bekannt wurde, als er für zehn Wochen das Ehepaar Erich und Margot Honecker bei sich aufnahm, dürften sich heute nur noch wenige Deutsche erinnern. Er hat inzwischen die Hoffnungstaler Anstalten, die er seit 1983 leitete, nach acht Jahren verlassen und ist 1991 nach Serrahn bei Güstrow in Mecklenburg gegangen, wo er noch heute als Rentner lebt. Dort hat er auch am 6. Februar seinen 80. Geburtstag gefeiert und unter dem Titel „Der Mann, bei dem Honecker wohnte“  ein Buch veröffentlicht, das inzwischen die zweite Auflage erreicht hat. Darin kann man im neunten Kapitel nachlesen, wie die Aufnahme zweier Kommunisten, die nie für ihre Verbrechen bestraft wurden, im christlichen Pfarrhaus vonstatten ging.

Auch wenn man der praktizierten Nächstenliebe des Pfarrerehepaars den Respekt nicht versagen kann, zumal acht ihrer zehn Kinder trotz bester Noten vom Besuch der Erweiterten Oberschule und damit vom Abitur ausgeschlossen worden waren, muß man dennoch einige Fragen stellen dürfen, die den angemessenen Umgang mit gestürzten Diktatoren betreffen. Uwe Holmer ist, wie er schreibt, zwischen Weihnachten und Silvester 1989 von einem Sendboten der Ost-Berliner Kirchenleitung gefragt worden, ob er bereit wäre, zum 1. Februar 1990, wenn die Prominentensiedlung im nahegelegenen Berlin-Wandlitz aufgelöst werden würde, „Margot und Erich“ (wörtlich!) bei sich aufzunehmen.

Der seit Jahren vom atheistischen Staat bedrängte Pfarrer Uwe Holmer, der wahrlich handfeste Gründe gehabt hätte, das Ansinnen zurückzuweisen, hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, dem gestürzten Diktator und seiner nicht weniger schuldigen Ehefrau, der einstigen Ministerin für Volksbildung, in Lobetal Asyl zu gewähren. Wie er den Lesern im Honecker-Kapitel seines Buches mitteilt, habe der am 18. Oktober 1989 zurückgetretene und durch Egon Krenz ersetzte Staatsratsvorsitzende, der im Krankenhaus auf eine Operation wartete, selbst den Ost-Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Vogel, seit 1964 in der Öffentlichkeit bekannt als Vermittler beim Freikauf von DDR-Häftlingen, angerufen und um Hilfe gebeten, eine Unterkunft zu finden.

Eine dem Ehepaar in Ost-Berlin angebotene Mietwohnung zu übernehmen, so der Sendbote der Kirchenleitung, wäre nicht zumutbar gewesen, da sie „von aufgebrachten Bürgern (hätte) gestürmt werden“ können. Deshalb habe Wolfgang Vogel „bei der Kirche angefragt“, ob sie ihm, Erich Honecker, eine „vorübergehende Unterkunft“ bieten könne.

Wenn man das heute liest, weiß man nicht, ob man es lächerlich oder unverschämt finden soll. Der „Arbeiterführer“ Walter Ulbricht floh am 17. Juni 1953 vor den aufständischen Arbeitern ins Hauptquartier der Sowjettruppen nach Berlin-Karlshorst, Erich Honecker und seine bei der Bevölkerung verhaßte Ehefrau Margot suchten Unterschlupf beim „Klassenfeind“ Kirche, die bis 1989 trotz des „Burgfriedens“ vom 6. März 1978 mit dem 1969 gegründeten Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR gnadenlos verfolgt wurde.

Die Entscheidung, die beiden Honeckers in Lobetal nördlich von Berlin aufzunehmen, hatte praktische und ethische Gründe. Das ganze Dorf gehörte der Diakonie und war nur von kirchlichen Mitarbeitern und ihren Schutzbefohlenen bewohnt, zu denen dann auch „Erich und Margot“ gehörten. Allerdings konnten sie nicht im Altenheim untergebracht werden, als sie am Abend des 31. Januar 1990 eintrafen. Dort nämlich lagen bereits sechzig Voranmeldungen für eine Aufnahme vor – die Unterbringung zweier führender Kommunisten außer der Reihe wäre zu Recht als erneute Privilegierung nach ihrem Sturz betrachtet worden. Also stellte ihnen Uwe Holmer zwei Zimmer in seinem Privathaus zur Verfügung, wo nur noch die beiden jüngsten Kinder lebten.

Das ethische Motiv für die Aufnahme war Pastor Friedrich von Bodelschwinghs (1877–1946) Einstellung, der die Hoffnungstaler Anstalten 1905 gegründet und eine Nachbildung Jesu Christi mit einladender Geste hatte aufstellen lassen. Seinen Mitarbeitern habe er damals zugerufen: „Daß Ihr mir keinen abweist!“ Uwe Holmer verstand das als „Auftrag Gottes“ .

Der Unmut über die Entscheidung des Pfarrers äußerte sich in etwa 3.000 Zuschriften, zustimmend waren nur wenige. Die in Lobetal anreisenden Demonstranten, fast alle Opfer des Systems, führten Transparente mit Aufschriften wie: „Keine Gnade für Honecker!“ Als die beiden, von Freunden und Genossen verlassen, nach acht Wochen in einem staatlichen Ferienheim in Lindow im Ruppiner Land untergebracht werden sollten, hätten die Anwohner das Haus stürmen wollen, weshalb „Erich und Margot“ wieder unterm Dach des Lobetaler Pfarrhauses Zuflucht gefunden hätten.

Hat Uwe Holmer durch seine Aufnahmebereitschaft die beiden Honeckers der irdischen Gerechtigkeit entzogen? Das sicher nicht, aber wären sie vor Gericht gestellt und für ihre Verbrechen abgeurteilt worden, anstatt sie nach Chile entkommen zu lassen, hielte sich die Aufregung über dieses Buch in Grenzen. In seiner christlichen Alles-Verzeihen-Mentalität verbaut sich Uwe Holmer den Horizont für politische Einsichten und vermag, selbst SED-Opfer, nicht zu erkennen, wie Zehntausenden zumute war, die durch den Mauerbau 1961 um ihr Leben betrogen wurden, die dagegen aufbegehrten und die nach unsinnigen Paragraphen des politischen Strafrechts wie „Republikflucht“ oder „staatsfeindliche Hetze“, die in keinem Gesetzbuch eines demokratischen Staates auftauchen, zu langen Zuchthausstrafen verurteilt wurden.

Manche Wortwahl in diesem Kapitel zeigt, daß Uwe Holmer Sympathie aufkommen ließ für die vom Volk bedrängten Kommunisten – wenn er etwa davon spricht, daß sie den „Zusammenbruch ihres Lebenswerks verkraften“ mußten. Mitunter scheint regelrecht Mitleid aufzuwallen, wenn Holmer davon berichtet, wie die „damals Regierenden beschimpft und angeklagt“ wurden. In klassischen Versöhnungsszenen sieht der Delinquent seine Schuld ein, zeigt Reue und wird geläutert. Die beiden Honeckers ließen davon nicht die geringste Spur erkennen, gaben sich verstockt und lehnten politische Gespräche ab. Sie hätten eine lebenslange Zuchthausstrafe verdient gehabt!

Uwe Holmer: Der Mann, bei dem Honecker wohnte. SCM Hänssler Verlag, Holzgerlingen 2009, gebunden, 220 Seiten, Abbildungen, 14,95 Euro

Fotos: Pfarrhaus inmitten der Hoffnungstaler Anstalten Lobetal nördlich von Berlin: „Daß Ihr mir keinen abweist!“, Margot und Erich Honecker: Nicht die geringste Spur von Reue

 

Berichtigung JF 42/09

Im Artikel „Asyl in der Opiumhöhle“ von Jörg Bernhard Bilke wird der Eindruck erweckt, Erich und Margot Honecker wären für ihre Verbrechen nicht vor Gericht gestellt worden. Richtig ist dagegen, daß gegen Erich Honecker am 12. November 1992 vor dem Berliner Landgericht Anklage wegen Totschlags und versuchten Totschlags in mehreren Fällen erhoben wurde. Auf Antrag der Verteidigung wurde das Verfahren wegen der schweren Krankheit des Angeklagten eingestellt. Margot Honecker entzog sich einer strafrechtlichen Verfolgung durch Flucht. Wir bitten, die Ungenauigkeit zu entschuldigen (JF)

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