© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/09 16. Oktober 2009

Eine Revolution auf Zeit
Geschichtspolitik: Opfer des SED-Regimes haben am Jahrestag der Leipziger Montagsdemonstration die Karl-Marx-Allee umbenannt
Hinrich Rohbohm

Langsam nähert sich das weiße Transparent mit der Aufschrift  „Straße der friedlichen Revolution“ dem Straßenschild. Der Schriftzug paßt genau – so, als ob dort nie etwas anderes zu lesen gewesen war. Die Karl-Marx-Allee ist verschwunden: ein Sieg für die Freiheit, den ehemalige Verfolgte des DDR-Regimes am vergangenen Freitag am Strausberger Platz von Berlin feiern können. Allerdings nur für einen kurzen Moment. Dann müssen die Aktivisten der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS) ihre friedliche Revolution wieder einpacken, denvon ihnen selbst gebastelten und angeklebten Namenszug wieder vom Straßenschild entfernen. Karl Marx kehrt zurück.

Die Polizei und das Gesetz wollen es so. „Ursprünglich wollten wir alle Schilder der Karl-Marx-Allee bis zum Frankfurter Tor überkleben“, sagt VOS-Pressesprecher Ronald Lässig der JUNGEN FREIHEIT. Jedoch hatten die Ordnungshüter angekündigt, die Aktion notfalls unter Gewalteinsatz zu unterbinden, da es sich dabei um Sachbeschädigung handele.

Eine Szene, die Symbolcharakter hat. 20 Jahre nach der entscheidenden Leipziger Montagsdemonstration vom 9. Oktober 1989 ist die friedliche Revolution verblaßt, kommt der alte Lack des Kommunismus in Deutschland wieder zum Vorschein. Die SED nennt sich jetzt „Die Linke“. Und die SPD geht mit ihr 60 Jahre nach ihrer Zwangsfusion mit den von Kurt Schumacher als rotlackierte Faschisten titulierten Kommunisten Bündnisse ein: Grund genug für die Opfer des SED-Regimes, den Jahrestag dazu zu nutzen, um medienwirksam gegen Relikte aus der Zeit der sozialistischen Diktatur in Deutschland zu protestieren.

„Es ist für uns unverständlich, daß 20 Jahre nach dem friedfertigen Aufbegehren in der DDR viele Straßen in Deutschland noch immer die Namen kommunistischer Idole tragen“, sagte der Berliner VOS-Landesvorsitzende Mario Röllig. Derzeit gebe es deutschlandweit noch immer rund 550 Straßen, die nach Karl Marx benannt seien. Hinzu kommen die Straßen weiterer kommunistischer Idole wie Ernst Thälmann, Wilhelm Pieck, Karl Liebknecht oder Rosa Luxemburg.

„Besonders in den ländlichen Regionen hat sich da kaum etwas getan“, moniert der Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Knabe, der der Aktion beigewohnt hatte, wünscht sich einen Aufruf von Bundespräsident Horst Köhler zur Umbenennung kommunistischer Straßennamen. Schließlich erinnere kaum ein Weg an den Mut Tausender Menschen, die gegen das SED-Regime Widerstand geleistet und für Freiheit und Demokratie protestiert hatten. Die Zeit sei daher reif für eine „Straße der friedlichen Revolution“. Nach Auffassung der VOS dürfe ein Staat wie die Bundesrepublik, der sich in der Traditionslinie von Paulskirche und Weimarer Verfassung sehe, Straßen nicht nach den Feinden von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit benennen.

Die VOS hat zudem mit offenen Briefen an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) ihrer Forderung nach Umbenennungen und einer angemessenen Würdigung der Revolution in der DDR Nachdruck verliehen. „Viele Menschen erinnern in diesen Tagen an den Mauerfall vor 20 Jahren, aber kaum jemand gedenkt dem Mut der vielen Menschen, die sich bereits lange Zeit davor für Menschenrechte und Demokratie in der DDR eingesetzt haben“, schrieben Mario Röllig und Ronald Lässig der Kanzlerin. „Für uns, die wir unter der Verfolgung und totaler Überwachung durch die DDR-Staatssicherheit zu leiden hatten und sogar unserer Freiheit beraubt wurden, ist dies ein unerträglicher Zustand“, heißt es im offenen Brief der VOS-Aktivisten weiter. „Wir sind gespannt, ob es eine Antwort geben wird“,  sagt Lässig.

Unterdessen  hat die CDU-Fraktion der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg auf Anregung der SED-Opfer einen entsprechenden Antrag auf Umbenennung der Karl-Marx-Allee in „Straße der friedlichen Revolution“ auf den Weg gebracht. Daß die Chance auf eine Entscheidung zugunsten einer Umbenennung gering ist, weiß die VOS. „Aber wir erreichen zumindest, daß die Öffentlichkeit hierfür sensibilisiert wird“, meint Lässig.

Fotos: SED-Opfer demonstrieren am Strausberger Platz in Berlin gegen Karl Marx als Namenspatron: Noch rund 550 Straßen tragen den Namen des Kommunisten, Das Straßenschild wird überklebt: Sachbeschädigung, Neuer Straßenname: Drohung der Polizei

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