© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/09 16. Oktober 2009

Der Druck wächst
Einwanderung: Lobbygruppen kämpfen gemeinsam mit linken Parteien und den Kirchen für eine großzügige Bleiberechtsregelung
Michael Paulwitz

Die Einwandererlobby erhöht den Druck auf die schwarz-gelben Neukoalitionäre: Pro Asyl  und Amnesty International, Kirchen, Wohlfahrtsverbände und Gewerkschaften fordern von der neuen Bundesregierung die Änderung oder Verlängerung der Bleiberechtsregelung für geduldete Flüchtlinge, die zum Jahresende ausläuft. Ein früherer Versuch war im Sommer am Widerstand der unionsgeführten Bundesländer gescheitert. Linke und Grüne stehen im jahrelang erprobten engen Schulterschluß mit den Lobbyverbänden. Die setzen nach dem SPD-Absturz auf den linksliberalen Flügel der FDP. Aber auch bei der Union haben sie einflußreiche Fürsprecher.

Mehr als 3.600 gleichlautende Nachrichten dürften die Sekretariate von Angela Merkel, Guido Westerwelle und Horst Seehofer bis Anfang der Woche bereits aus den elektronischen Briefkästen von Kanzlerin, FDP-Chef und CSU-Vorsitzendem gelöscht haben. Die Absender fordern „grundlegende Verbesserungen des Flüchtlingsschutzes in Deutschland und Europa“, außerdem solle Deutschland mehr Flüchtlinge aufnehmen und für „Bleiberecht jetzt“ sorgen. Vorformuliert hat der Lobbyverband Pro Asyl, auf dessen Kampagnenseite „Aktion Schutzschirm für Flüchtlingsrechte“ die Standardnachricht per Knopfdruck verschickt werden kann.

Argumentationsmaterial liefert die am 24. September veröffentlichte Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage von Ulla Jelpke und der Fraktion Die Linke zur Bilanz der „Altfallregelung“ von 2007 für langjährig geduldete Flüchtlinge. Nach der schwarz-roten Gesetzesänderung, die die unbefriedigende Praxis der mehrfach verlängerten „Kettenduldungen“ reduzieren sollte, konnten Flüchtlinge mit Kindern, die zum 1. Januar 2007 mindestens sechs Jahre in Deutschland lebten – für Alleinstehende betrug die Frist acht Jahre –, eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis beantragen. Wer keine gesicherte Arbeit hatte, konnte einen bis 31. Dezember 2009 befristeten Aufenthaltstitel „auf Probe“ erhalten, um bis zu diesem Stichtag ein festes und dauerhaftes Einkommen nachzuweisen und das Probe-Bleiberecht in einen gesicherten Aufenthalt umzuwandeln.

Das ist bis zu diesem Sommer allerdings nicht einmal sechshundert Antragstellern gelungen – von über dreißigtausend. Auch sonst ist die Bilanz ernüchternd: Von knapp 39.000 auf Grundlage der Altfallregelung erteilten Aufenthaltserlaubnissen gelten rund 31.000 noch immer nur auf Probe. Die Chance, bis zum Stichtag noch die Bedingungen für die Aufenthaltsverlängerung zu erfüllen, dürfte für die meisten gering sein.

Stichproben der Bundesländer haben ergeben, daß die Hälfte der Probekandidaten nach wie vor ganz oder teilweise auf staatliche Sozialleistungen angewiesen ist. Etwa 15.000 Flüchtlingen droht damit die Abschiebung oder die Rückkehr in den Duldungsstatus. Knapp hunderttausend Flüchtlinge leben zudem noch immer auf Duldung in Deutschland, sechzig Prozent davon wiederum seit mehr als sechs Jahren.

Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt hat für diese Fälle eine simple Lösung: „Wer lange hier lebt, muß bleiben dürfen, ohne Wenn und Aber.“ Ob jemand realistische Aussichten auf dem Arbeitsmarkt hat oder dauerhaft auf Transferleistungen angewiesen bleibt, soll ebensowenig eine Rolle spielen wie die Tatsache, daß das Gros der Betroffenen aus Serbien oder dem Kosovo stammt, wo die Kriegsgefahr seit langem vorüber ist. Das liegt ganz auf der Linie der Linkspartei, die in ihren Initiativen Materialien und Argumente des Lobbyverbandes intensiv nutzt und bereits im Juli einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Abstimmung gestellt hat.

Weitere Schützenhilfe kommt vom Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), der vergangene Woche die neue Bundesregierung mit „Empfehlungen“ versorgte: Ein Steuerungssystem für Arbeitsmigration, die Aussetzung der Optionspflicht im Staatsangehörigkeitsrecht und die Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft müsse ebenso her wie die verstärkte Aufnahme von Flüchtlingen und natürlich die Verlängerung der Altfall-Stichtagsregelung. Wegen der Wirtschaftskrise sei die Jobsuche jetzt schließlich besonders schwer, begründet SVR-Vorsitzender Klaus Bade. Da müsse denn auch das „glaubwürdige Bemühen“ um Arbeit für die Bewilligung ausreichen.

Grünen-Chef Cem Özdemir machte sich die Vorlage umgehend zu eigen. Seine niedersächsischen Parteifreunde hatten bereits im Sommer eine medienwirksame „Bleiberechtstour“ unter dem Motto „Gekommen, um zu bleiben“ initiiert, um vermeintlich restriktive Ausländerbehörden anzuprangern und eine parlamentarische Initiative zur Aufhebung der Stichtagsregelung auf Landesebene zu untermauern.

Eine tragende Rolle im Kampagnenkonzert zur Ausweitung der Bleiberechtsregelung spielen die christlichen Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände. Wie schon zwei Jahre zuvor unterzeichneten im Mai 2009 die Vorsitzenden der „Migrationskommissionen“ der Katholischen Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland, Weihbischof Josef Voß und der westfälische Präses Alfred Buß, gemeinsam mit dem Diakonischen Werk der EKD und dem katholischen Caritasverband einen Appell für die Sicherung eines „humanitären“ Bleiberechts. Veranstaltungen auf Bundes- und regionaler Ebene wurden über die gemeinsame „Aktion Bleiberecht“ koordiniert.

Die kirchliche Forderung nach Verlängerung der Altfallregelung stand Ende September wiederum im Mittelpunkt der „interkulturellen Woche“, die dem „Tag des Flüchtlings“ am 2. Oktober vorausging. Mit nach eigenen Angaben über dreitausend Veranstaltungen in 270 Städten brachten die beteiligten Synoden, Diakonie- und Caritasverbände die Forderungen zum Bleiberecht in die regionalen und lokalen Medien.

Nach dem Absturz der SPD, deren Parteivize Andrea Nahles den Kirchen im Falle eines Wahlsieges Korrekturen an der Bleiberechtsregelung zugesagt hatte, appellieren Pro Asyl und die deutsche Sektion von Amnesty International  nunmehr an die FDP, sich zur „Anwältin der Flüchtlinge“ zu machen. Man werde die Liberalen an ihre Zusagen aus der Wahlkampfzeit erinnern, betont Pro-Asyl-Geschäftsführer Burkhardt.

Verbündete gibt es aber längst auch in der Union. In Nordrhein-Westfalen, wo Integrationsminister Armin Laschet Bleiberecht für illegale Einwanderer fordert, treten CDU, SPD, Grüne, Kirchen und Wohlfahrtsverbände gemeinsam für eine Verlängerung der Stichtagsregelung ein; Laschets CDU-Parteifreundin Maria Böhmer, Migrationsbeauftragte unter Schwarz-Rot und in den Koalitionsverhandlungen Leiterin der Arbeitsgruppe Familie, Integration und Kultur, mißt der Eröffnung einer „dauerhaften Perspektive“ für die Geduldeten gar „entscheidende Bedeutung“ zu. Wie die für den Beginn dieser Legislaturperiode vorgesehene Novellierung der Bleiberechtsregelung ausfallen wird, ist also durchaus offen.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen