© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/09 16. Oktober 2009

Beatrice geht doch wählen
Nichtwähler-Belehrungen
Sverre Schacht 

Schon der Titel ist Koketterie. Beatrice von Weizsäcker, Journalistin, Juristin und Tochter des einstigen Bundespräsidenten, stellt plakativ fest, daß sie sich nicht interessiert für Staatsgeschäfte und Bundestag.

Der gewünschte Schulterschluß zum vermeintlich desinteressierten Volk gelingt aber nicht. Dazu schreibt sie dem Leser allzu belehrend Vorbilder ins Gewissen: „Clara Anders – nie gehört? Das muß sich ändern.“ Ob es um die „Koordinatorin der Potsdamer Erstwählerkampagne“ geht oder Nelson Mandela – dem Leser schleudert sie im Schnellwaschgang ihre Idole um und in den Kopf. Nicht Enttäuschung treibt die 51jährige an, sondern der Wunsch, andere einzu­norden. Sie ist keine Spätberufene, nein, sie hat eine Botschaft. Und die ist affirmativ, staatstragend und anders als der gegen den Strich gebürstete Titel meist sterbenslangweilig. Parteienschelte, Lob für direkte Demokratie und Bundesverfassungsgericht bilden die Gipfel kreativer Systemkritik.

Auf 207 Seiten erfährt, wer will, einiges über prägende Zäsuren in ihrem Leben. Stichworte geben etwas Struktur und die Funktion eines persönlichen politischen Kompasses. Scharfsinnig analysiert sie dagegen im lesenswerten Kapitel „Das Neumitglied als Frühstücksei“ die Ochsentour, die Politiker durchleben: „Dort, in den Parteien, erhalten die Jungen ihre eigentliche Ausbildung, nicht außerhalb. (…) Derart geschult, ausgebildet und abgeschreckt leben die Jungen schon bald wie die meisten Abgeordneten nicht für die Politik, sondern von der Politik.“ Attacken gegen den Zeitgeist stehen aber hinter Wohlfeilem zurück. Beflissen erinnert sie sich der Lichterketten. Natürlich ist der Kampf gegen Rassismus ein Leitmotiv ihres Werks, da gesellt sich jeder gern hinzu. Ihr Großvater Ernst von Weizsäcker hingegen „war Diplomat“, so ihre unaufgeregt knappe Mitteilung zum einflußreichen NS-Außenpolitiker.

Beatrice von Weizsäcker propagiert Symbolpolitik zum Mitmachen. Allzu hoch lobt sie sich dabei selbst. Unfreiwillig komisch bis psychopathologisch mutet ihr „Briefwechsel“ mit einem erfundenen polnischen Freund an, den sie in den achtziger Jahren geführt haben will. Sie schreibt diesen Marian 1989 im wahrsten Sinne des Wortes ab, nachdem er als Projektionsfläche ihrer Gedanken zur Wende ausgedient hat. Insgesamt motiviert das Buch also eher am Rande, sich für Politik einzusetzen.

 Beatrice von Weizsäcker: Warum ich mich nicht für Politik interessiere. Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 2009, 207 Seiten, 14,99 Euro

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