© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/09 16. Oktober 2009

Frisch gepresst

Ostpreußen. Rhetorisch groß aufzutrumpfen, das wirkt fast immer peinlich. Aber wie anders als ein „Titanenwerk“ soll man es denn nennen, wenn jemand wie Wulf D. Wagner ohne institutionelle Unterstützung, als privatgelehrter Einzelkämpfer binnen eines Jahres fast 1.400 Seiten zum Druck befördert über die „Kultur im ländlichen Ostpreußen“ – exemplarisch dargestellt in seinem zweiten Band zur Geschichte, den Gütern und den Menschen des Kreises Gerdauen (Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, Husum 2009, Seiten 717 bis 1382, Abbildungen, 39,95 Euro). Wie schon zum ersten Band bemerkt (JF 6/09) läßt Wagner die herkömmliche Regionalgeschichte, die für Ostpreußen nach 1945 in den Heimatkreis-Büchern der 1960er bis 1980er Jahre versammelt ist, weit hinter sich. Das gilt zum einen für die Abundanz und Gründlichkeit der Quellenauswertung. Hier setzt Wagner schlicht neue Maßstäbe. Das gilt zum andern methodisch für die Verklammerung von Architektur-, Agrar-, Sozial- und Kulturgeschichte, die landeshistorisch einen bislang unerreichten Standard für die Zukunft vorgibt. Und schließlich ist auch die einzigartige Dichte der Baupläne und Abbildungen zu rühmen. Um hier nur eins herauszugreifen: die Farbdias, die der junge Joachim Horn um 1940 von seinem Elternhaus, dem Gut Korellen, gemacht hat. Hineingezogen ins Interieur des Eßzimmers, hingestellt auf die blanken Dielen des Wohnzimmers findet der Betrachter wie von Zauberhand die verlorene Zeit wieder. Eine Frage bleibt: Wird Wagners Kraft für die großen und lohnenden Güterkreise Fischhausen, Rastenburg oder Rosenberg reichen?

 

Krise und Reformen. Beruhigend hieß es im Oktober 1806 nach der preußischen Niederlage von Jena und Auerstedt gegen Napoleons Armeen: „Der König hat eine Bataille verloren. Jetzt ist Ruhe die erste Bürgerpflicht.“ Man muß schon bis zur Agonie der Hohenzollern-Monarchie im Herbst 1918 sondieren, um Untertreibungen solchen Kalibers in den Verlautbarungen des Herrscherhauses aufzuspüren. Jena-Auerstedt war keine verlorene Bataille, sondern die Katastrophe des preußischen Staates schlechthin, der Untergang der friderizianischen Großmacht. Wie das militärische Führungspersonal auf dieses Desaster reagierte, wie unterschiedlich die Generalität bereits vor 1806 über die allfällige Militärreform dachte, welche Bedeutung die Niederlage auf der Walstatt nahe Weimar für die Reformkonzeptionen nach 1806 hatte und wie diese Heeresreformen mit der Steinschen Staatsumwälzung von 1807/08 verknüpft waren – auf diese Fragen sucht ein von Jürgen Kloosterhuis und Sönke Neitzel edierter Tagungsband nach treffenden Antworten (Krise, Reformen – und Militär. Preußen vor und nach der Katastrophe von 1806, Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2009, broschiert, 279 Seiten, Abbildungen, 68 Euro).

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