© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/09 23. Oktober 2009

CD: Indie
Sinnsuche
Michael Insel

Vor vier Jahren verschenkten die Arctic Monkeys ihre CDs noch bei Konzerten. 2006 nahm die trendsichere Indie-Plattenfirma Domino die vier Jünglinge aus Sheffield unter Vertrag und katapultierte sie mit ihrem Debütalbum „Whatever People Say I Am, That‘s What I’m Not“ in die Charts. Hinter den umständlichen Titel verbargen sich schnoddrige, mit der Rasierklinge gedichtete Sprechgesänge über nächtliche Sauftouren und kaputte Beziehungskisten, die Alex Turner als zeitgenössischen Pop-Chronisten nach dem Vorbild eines Ray Davies oder Paul Weller auswiesen.

Der Fluch des Rockstar-Daseins – der Streß eines Live-Auftritts nach dem anderen und der hohe Erwartungsdruck, den das hastig aufgenommene zweite Album „Favourite Worst Nightmare“ nicht erfüllte – ging an den Arctic Monkeys nicht vorbei. Sie nahmen eine Auszeit, die bis Anfang dieses Jahres andauerte. Turner nutzte die Gelegenheit, um ein zweites Erfolgsprojekt namens The Last Shadow Puppets auf die Beine zu stellen, und nahm mit seinem Kollegen Miles Kane von den Rascals, dem London Metropolitan Orchestra und einer ordentlichen Prise Sechziger-Jahre-Nostalgie „The Age of the Understatement“ auf.

Im vergangenen September dann begaben sich die Arctic Monkeys auf eine Pilgerfahrt, die sie weit weg von arktischen Gefilden in die kalifornische Mojave-Wüste führte. Sie quartierten sich im Jo­shua Tree Motel in der gleichnamigen Ortschaft ein, deren staubige Straßen und öde Landschaft schon so manchen Musiker auf der Suche nach neuen Inspirationen angelockt haben – nicht zuletzt Country-Rock-Legende Gram Parsons, der 1973 im Alter von 26 Jahren in ebenjenem Etablissement an einer Überdosis Drogen und Alkohol verendete. Als Produzenten hatten sie sich Grunge-Veteran Josh Homme von Queens of the Stone Age ausgeguckt. Sieben der zehn Stücke auf der neuen Monkeys-Scheibe „Humbug“ wurden in der abgeschiedenen Lagerfeuer-Romantik seines Aufnahmestudio Rancho de la Luna eingespielt. Homme glaubt zu wissen, warum die Jungs aus Yorkshire ausgerechnet bei ihm anklopften: „Sie wollten schräg, und ich weiß, wo das zu finden ist ...“

Das Ergebnis ihrer Sinnsuche unterm Sternenhimmel ist ein ausgefeilt mehrschichtiges, dunkles und wuchtiges Pop-Album, aus dessen Rillen ein unverkennbares Sechziger-Jahre-Aroma aufsteigt. Turner pflegt seinen bewährten lakonisch-surrealistischen Tonfall, scheint aber im Zuge der Last Shadow Puppets entdeckt zu haben, daß er auch eine Singstimme hat. Auch Schlagzeuger Matt Helder legt einen virtuosen Kraftakt hin. Besonders hörenswert sind „Dance Little Liar“ oder auch das „Fire and the Thud“, dem Alison Mossharts (The Kills, Dead Weather) ätherische Stimme eine gespenstische Note verleiht. Für das musikalische Wohlbefinden eingeschworener Fans ist ebenfalls gesorgt: Sie werden die erste Single-Auskopplung „Crying Lightning“ ebenso goutieren wie die freche Pop-Nummer „Cornerstone“.

Die Arctic Monkeys werden der Musikwelt wohl noch eine Weile erhalten bleiben. Dafür spricht sowohl die Furchtlosigkeit, mit der sie die Richtung wechseln, als auch ihr offenes Ohr für neue Einflüsse. Am 8. November ist die Band live in der Berliner Arena zu erleben, weitere Konzerte in München, Offenbach und Düsseldorf folgen Anfang Februar 2010.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen