© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/09 23. Oktober 2009

Andreas Kieling – Mitten im wilden Deutschland: 1.200 Kilometer beeindruckende Geschichten und Naturlandschaften
Der ehemalige Todesstreifen als biologisches Reservat
Johannes Schüller

Die Fluchtchancen eines 16jährigen aus der DDR liefen nach 1961 gegen Null. Andreas Kieling hat es trotzdem geschafft. Am 16. Oktober 1975 durchschwamm er vom tschechischen Ufer aus die Donau in Richtung Österreich. Dort absolvierte er eine Ausbildung zum Forstwirt, wurde Förster in der Eifel, wirkte als Forstberater in China und entwickelte sich im Laufe der Zeit zum bekanntesten Naturfilmer Deutschlands. Entsprechend bildet Kielings neue Tour „Mitten im wilden Deutschland“ einen Teil des Arte-Programmschwerpunkts „Wir sind das Volk!“ anläßlich von 20 Jahre Mauerfall. Auf dem 1.400 Kilometer langen Streifen entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze begegnet er Zeitzeugen aus Ost und West sowie einer beeindruckenden Naturlandschaft.

Denn 40 Jahre deutscher Teilung ließen ein idyllisches „grünes Band“ entstehen. Bereits der Biologe und Tierfilmer Heinz Sielmann entdeckte den Todesstreifen als biologisches Reservat. Darin liegt eine späte Ironie der Geschichte. An der Linie, an der sich einst die Teilung Deutschlands zementierte und mindestens 136 Deutsche den Tod fanden, blüht nun das Leben. Wildschweine suhlen, Kohlmeisen zwitschern unweit entfernt, als Kieling durch einen 40 Meter langen Stasi-Tunnel in den Westen robbt.

Als gezwungen harmlos kann die fünfteilige Dokumentationsreihe trotzdem nicht bezeichnet werden. Im ersten Teil streift Kiesling das von den US-Amerikanern als „Little Berlin“ bezeichnete, während der DDR geteilte Mödlareuth (JF 41/09). Er befragt Einwohner nach ihren Erinnerungen, spricht von der eigenen Flucht. Zoologisch und politisch interessierte Zuschauer dürften gleichermaßen an der Reihe Gefallen finden. Ein Schlüsselbild macht dies deutlich: Beim Weg entlang der Berliner Mauer entdeckt Kieling Wildschweine. Nicht weit davon entfernt verkündete 1961 Walter Ulbricht: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen