© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/09 30. Oktober 2009

Tabuthema Einwanderung
Großbritannien: Ein Fernsehauftritt bringt der rechten BNP unerwarteten Zuspruch / Klage wegen rassistischer Aufnahmekriterien
Derek Turner

Zur selben Zeit, da in Deutschland die einwanderungskritischen Äußerungen des Bundesbankvorstands Thilo Sarrazin (SPD) eine Debatte über die Islamisierung angestoßen haben, sorgte in Großbritannien der Fernsehauftritt von Nick Griffin, dem Chef der British National Party (BNP), in der BBC-Diskussionssendung „Question Time“ für Aufsehen und wütende Proteste. Die Chance, die Positionen des umstrittenen Politikers zu hinterfragen oder gar kraft besserer Argumente zu widerlegen, wurde dabei weitgehend zugunsten polemischer Beschimpfungen vertan. Für die BNP hingegen erwies sich die Sendung am 22. Oktober als durchschlagender Erfolg: Einer wenige Stunden danach durchgeführten Umfrage zufolge wollen 22 Prozent der Briten bei zukünftigen Wahlen „ernsthaft überlegen“, der Rechtspartei ihre Stimme zu geben.

Andrew Neather, ein früherer Berater der Blair-Regierung, goß Wasser auf die Mühlen, indem er in der Londoner Zeitung Evening Standard erklärte, Labour habe die Einwanderung bewußt forciert, um eine gesellschaftliche Umwälzung zu bewirken und „den Rechten die Vielfalt unter die Nase zu reiben“. Dabei seien ökonomische Erwägungen als Vorwand vorgeschoben worden.

Die BNP mag sich zunehmend allgemeiner Akzeptanz in der Bevölkerung erfreuen, von offizieller Seite bekämpft man sie weiterhin mit allen Mitteln: Kaum hatte die Partei im Juni – mit 6,1 Prozent und zwei Abgeordneten – den Einzug ins Europaparlament geschafft, wurde ihr von der britischen Kommission für Gleichstellung und Menschenrechte (EHRC) mitgeteilt, ihre Aufnahmerichtlinien verstießen gegen geltendes Recht: Organisationen, die staatliche Gelder erhielten, dürften nicht aufgrund der Rasse diskriminieren. Im Statut der BNP heißt es: „Die British National Party vertritt die kollektiven Nationalen, Ökologischen, Politischen, Rassischen, Völkischen, Sozialen, Kulturellen, Religiösen und Wirtschaftlichen Interessen der autochthonen angelsächsischen, keltischen und nordischen Volksgemeinschaften Britanniens sowie derjenigen anderen Einwohner Britanniens, die wir als eng verwandte und ethnisch assimilierte oder assimilierbare eingeborene Mitglieder der europäischen Rasse betrachten.“

Zu ihrer Verteidigung führte die Partei an, daß es auch Organisationen mit rein schwarzer oder asiatischstämmiger Mitgliedschaft gebe, die trotzdem staatliche Gelder bezögen. Im übrigen könnten die Aufnahmerichtlinien nur mit Zustimmung der Parteimitglieder geändert werden. Gegen die vor zwei Jahren eingesetzte Gleichstellungskommission selber wird wegen des Verdachts auf politische Voreingenommenheit und finanzielle Unregelmäßigkeiten ermittelt – erst kürzlich traten sechs ihrer Mitglieder nach heftigen internen Auseinandersetzungen und „Rassismus“-Vorwürfen von ihrem Amt zurück.

Nach dem ersten Gerichtstermin am 15. Oktober wurde die Fortsetzung des Prozesses gegen die BNP auf Januar 2010 vertagt. Bis dahin darf die Partei keine neuen Mitglieder aufnehmen. Weiterhin wurde ihr auferlegt, ihre Aufnahmerichtlinien dahingehend zu ändern, daß sie rechtskonform sind. Wider Erwarten widersprach die Parteiführung der Entscheidung nicht – wohl eher aus Einsicht in das Unvermeidliche als aus Reumütigkeit. Denn selbst wenn sie ihre bestehenden Richtlinien nach derzeitiger Rechtslage hätte verteidigen können, wären sie mit Sicherheit rechtswidrig, sobald das neue Gleichstellungsgesetz in Kraft tritt. Deswegen ist damit zu rechnen, daß auch die Parteibasis – wenngleich widerwillig – zustimmen wird. Eine positive Nebenwirkung des Rechtsstreits könnte aus Sicht der BNP darin liegen, daß Bezichtigungen des Rassismus in Zukunft schwieriger zu belegen sein werden. Befürchtungen, daß es zu einer Flut von Aufnahmegesuchen seitens Personen kommen wird, die die Partei zu unterwandern versuchen, dürften sich als grundlos entpuppen.

Während die BNP sich so zunehmend in Richtung einer ganz „normalen“ Formation innerhalb des britischen Parteienspektrums entwickelt, macht eine neue Organisation von sich reden: Die English Defence League (EDL) will den Kampf gegen Islamisierung und Parallelgesellschaften nicht mit politischen Mitteln, sondern auf der Straße führen. Im Mai dieses Jahres kam es bei einer muslimischen Demonstration gegen aus dem Irak zurückkehrende britische Soldaten in Luton zu gewalttätigen Auseinandersetzung, in deren Folge drei Nicht-Muslime festgenommen wurden.

Im Juli veranstaltete die EDL Protestkundgebungen in London und Birmingham; im August kam es bei einer weiteren Demonstration in Birmingham zu 35 Verhaftungen; im September und Oktober wurde wieder in London, Birmingham und Manchester demonstriert – weitere Proteste in Leeds, Glasgow und Nottingham sind geplant.

Nach eigenen Angaben verfügt die EDL über „Divisionen“ in Luton, Nord-London, Bristol, Portsmouth und Southampton, Derby, Cardiff und den West Midlands sowie Schwester-Organisationen in Schottland, Wales und Nord­irland, die über Internetplattformen wie YouTube oder Facebook miteinander kommunizieren. Aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen weigern sich die Organisatoren, gegenüber der Presse ihre vollen Namen preiszugeben.

Indes behaupten sie, eine multiethnische Organisation zu sein, und tatsächlich befanden sich unter den EDL-Demonstranten in Birmingham auch Schwarze. Verbindungen zur BNP werden vehement geleugnet. Die BNP ihrerseits hat die Mitgliedschaft in der EDL mit derjenigen in der BNP für unvereinbar erklärt. Das hält Politiker und Medien nicht davon ab, immer wieder Zusammenhänge zwischen den Organisationen zu implizieren – in der Hoffnung, beide zu diskreditieren. Tatsächlich könnte sich die Gründung der EDL durchaus als Segen für die BNP erweisen, verleiht sie doch deren Botschaft über die Gefahren der Einwanderung und der zunehmenden Islamisierung lautstark Nachdruck – und läßt die Partei zugleich als „gemäßigte“ Alternative zum gewalttätigen Straßenkampf erscheinen.

Die Lage in Großbritannien ist angespannt, die Konflikte nehmen ständig zu. Mag sein, daß sich das Schlimmste noch abwenden läßt – aber nur, wenn die Politiker der großen Parteien Rückgrat und gesunden Menschenverstand entwickeln – und zwar schnell. Im Unterhaus dürfte die BNP auch nach den Neuwahlen 2010 keine Rolle spielen – das britische Mehrheitswahlrecht ist vorerst eine unüberwindbare Hürde.

 

Derek Turner ist Publizist und seit 2007 Herausgeber der britischen Zeitschrift „Quarterly Review“ (www.quarterly-review.org).

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