© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/09 30. Oktober 2009

Legale Tierquälerei
Landwirtschaft: EU-Kommission will Tierschutzauflagen in der Viehhaltung ausweiten / Schächten bleibt davon ausgenommen
Harald Ströhlein

Auch nach dem Käfighaltungsverbot von Legehennen, dem Anbindeverbot von Kälbern oder dem Befähigungsnachweis für Landwirte für überregionale Tiertransporte steht der Tierschutz in der Landwirtschaft ganz oben auf Prioritätenliste engagierter EU-Kommissare. In Zeiten, in denen das Landleben in Fernsehbildern zu abgeklärten Stadtmenschen transportiert wird, ist diese sensible Thematik in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Interesses gerückt. Verständlich, daß Brüssel hier intensiv tätig wird.

So ist nun die EU-Milchkuhrichtlinie zu erwarten, deren Vorarbeiten schon seit einigen Jahren am Laufen sind. Bereits 2006 beauftragte die Kommission die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), wissenschaftliche Empfehlungen für den Schutz von Milchkühen vorzulegen. In dem Vorschlag wird unter anderem zu lesen sein, wieviel Platz eine Milchkuh konkret benötigt; daß der Vollspaltenboden möglicherweise verboten wird; wie der Weidegang für Milchkühe und Färsen zu erfolgen hat; daß Tiere in Anbindehaltung täglichen Auslauf erhalten; oder daß Lärm über Ventilatoren, Fütterungs- oder Melktechnik zu vermeiden ist. Rinderhalter werden damit wohl umzugehen wissen, je nachdem, wieviel fachliche Geisteskraft in der Erstellung dieser Dokumentation beiwohnte und wie diese Richtlinie dann in Bundes- bzw. Länderrecht umgesetzt werden wird.

Gleichwohl ist eine neue EU-Richtlinie für die Haltung von Milchkühen fragwürdig, solange der Tierschutz anderorts auf legale Art und Weise mit Füßen getreten wird. Das betrifft den im Tierschutzgesetz verankerten Paragraphen 4 (Absatz 2, Nr. 2), wonach die zuständige Behörde (das Veterinäramt) eine Ausnahmegenehmigung für ein Schlachten ohne Betäubung erteilen kann, um „den Bedürfnissen von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften ... zu entsprechen“. Gemeint ist hier das sogenannte religiöse Schächten, bei dem die Kehle des zu schlachtenden Tieres bei lebendigem Leibe aufgeschnitten wird, um ein völliges Entbluten des Körpers zu gewährleisten und letztendlich Fleisch mit dem Siegel „halal“ oder „koscher“ servieren zu können.

Wie geschieht das Schächten praktisch? Zur Fixierung des Tieres dient dabei eine Drehfalle namens Weinberg-Apparat. Nachdem das Rind in die Trommel getrieben und von hinten und seitlich mit Metallplatten eingezwängt wurde, wird der Kopf mittels eines Metallbügels nach oben gedrückt, um den Hals vollends zu strecken. Dann dreht der Apparat das Tier in Rückenlage, und der Entbluteschnitt wird angesetzt. Der Apparat dreht sich weiter, und das Tier fällt aus der Trommel. Über diesen letzten Lebensabschnitt eines Tieres dokumentieren mehr als 70 wissenschaftliche Studien, daß ein nicht unerheblicher Teil der fast kopflosen Kreaturen noch Aufstehversuche unternehmen, die bis zu zwei Minuten und teilweise auch noch länger andauern können. Ausschlaggebend ist aber vielmehr: Untersuchungen belegen, daß den Tieren erheblich mehr Schmerzen und Leiden zugefügt werden, als wenn sie vorher betäubt werden. Weiterhin bestätigt ein Gutachten, daß ein nicht betäubtes Tier Angst und Schmerzen in erheblichem Ausmaß und über einen deutlich längeren Zeitraum – also bis zum Verlust der Empfindungs- und Wahrnehmungsfähigkeit – erleiden muß als bei vorheriger Betäubung.

Obgleich die Fakten klar auf der Hand liegen und sich eine Alternative in Form der Elektrokurzzeitbetäubung anbietet, hat sich das Bundesverwaltungsgericht deutlich dahingehend positioniert, den Tierschutz den besonders strengen Gesetzesauslegungen im Islam und dem Judentum unterzuordnen. Damit ist die von fachlicher Seite attestierte Tierquälerei juristisch manifestiert, was einem Skandal gleichkommt, der sprichwörtlich zum Himmel schreit. Auf solche Mißstände hinzuweisen, ist Aufgabe aller – insbesondere aber der Tierärzteschaft. Solche Mißstände zu tilgen, wäre die Pflicht der Politik – auch wenn dies gegenüber besonders sensiblen religiösen Minderheiten in Deutschland nicht opportun erscheint.

Gleichwohl darf der Tierschutz in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung auch sonst nicht in Abrede gestellt werden. Aber gerade der Weg, den die EU bezüglich der Tierhaltung beschreitet, verdeutlicht, welch hoher Stellenwert verschiedenen Aspekten des Tierkomforts und der Tiergesundheit eingeräumt wird. Es ist im Sinne des Tierhalters, sein Tier so zu halten, daß es gesund ist – um der Gesundheit und natürlich nicht zuletzt um der Leistung willen. Mit der Milchkuhrichtlinie trägt man also Eulen nach Athen, während an anderer Stelle dringender Verbesserungsbedarf besteht.

Die Informationsseite des Deutschen Tierschutzbundes zum Thema Schächten im Internet: www.tierschutzakademie.de/842.html

Foto: Schächt-Darstellung (15. Jahrhundert): Archaische Tradition

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