© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/09 30. Oktober 2009

Europa verändert sein Gesicht
Der US-amerikanische Publizist Christopher Caldwell analysiert die dramatischen Auswirkungen der europäischen Einwanderungspolitik
Robert Hepp

Seit sich der renommierte Historiker Bernard Lewis in einem Welt-Interview mit der Prophezeiung exponierte, daß der Islam spätestens am Ende dieses Jahrhunderts Europa beherrschen werde, erscheinen in Amerika ständig neue Schriften, die vor der drohenden Islamisierung Europas warnen. Namhafte Schriftsteller wie Bruce Bawer, Robert Spencer, Tony Blankley, Walter Laqueur und Claire Berlinski haben sich in letzter Zeit des Themas angenommen und es einfallsreich dramatisiert.

Wenn man ihnen glauben dürfte, wären die Muslime bereits dabei, alle Schlüsselpositionen unseres „schlafenden Kontinents“ zu besetzen. Das FrontPage Magazine von David Horowitz entblödet sich nicht, sogar die abstruse Verschwörungstheorie der Genfer Historikerin Gisèle Littman (alias Bat Ye‘or) zu verbreiten, nach der die politische Klasse Europas seit der Ölkrise systematisch auf eine Allianz mit der arabischen Welt und auf eine Abkoppelung von den USA hinarbeiten und dafür die Islamisierung Europas billigend in Kauf nehmen soll. Da die betreffenden Beiträge zumeist aus dem neokonservativen Umfeld stammen, das von jüdischen Intellektuellen dominiert wird, ist der von muslimischer Seite oft geäußerte Verdacht nicht von der Hand zu weisen, daß es sich bei dieser Kampagne lediglich um eine Propagandaaktion im „Krieg gegen den islamistischen Terror“ handelt, mit der die kriegsmüden Europäer auf Vordermann gebracht werden sollen. Man merkt die Absicht, und man ist verstimmt.

Wer einmal mit dieser dubiosen Literatur Bekanntschaft machte, dürfte wenig Lust haben, sich in eine Neuerscheinung zu vertiefen, die unter dem auf das Hauptwerk Edmund Burkes „Reflections on the Revolutions in France“ anspielenden Titel „Reflections on the Revolution in Europe“ eine Abhandlung über „die Einwanderung, den Islam und den Westen“ verspricht, denn ihr Autor, ein Journalist namens Christopher Caldwell, scheint ebenfalls zu der famosen Clique der Neocons zu gehören. Im Klappentext wird er als „senior editor“ des Weekly Standard, eines von Bill Kristol, dem Sohn des neokonservativen Vordenkers Irving Kristol, herausgegebenen Wochenmagazins, vorgestellt. Und der jüngst verstorbene neokonservative Starkolumnist Robert Novak war sein Schwiegervater. Einige amerikanische Rezensenten sind wohl in Kenntnis dieses Hintergrunds nach einem womöglich nur flüchtigen Blick auf das Inhaltsverzeichnis zu dem voreiligen Schluß gelangt, daß es sich bei dem Werk um einen weiteren Versuch der Aufreizung zum Kreuzzug gegen den Islam handle.

Bei genauerem Hinsehen ist dem Buch jedoch durchaus keine solche Tendenz zu entnehmen. Sein Hauptthema ist tatsächlich eine „Revolution in Europa“, die nach dem Verfasser darin besteht, daß die altehrwürdigen europäischen Kulturen im Zuge der aktuellen Masseneinwanderung von den Kulturen der Eingewanderten abgelöst werden, unter denen die der Muslime bei weitem die vitalste ist. Das ganze Buch, heißt es am Ende des ersten Kapitels, beschäftige sich mit der Frage, ob man bei völlig anderen Leuten noch von demselben Europa sprechen könne. Und die Antwort darauf sei ein klares Nein.

Auch diese radikale Rhetorik könnte noch mißverstanden werden, wenn der Verfasser nicht auf Hunderten von Seiten seinen ganzen Witz auf die Untermauerung der These verwenden würde, daß gegen die besagte Revolution schlechterdings nichts mehr zu machen sei. Da er im ersten Kapitel über die Einwanderung das Fiasko der europäischen Ausländer- und Integrationspolitik gnadenlos seziert und im zweiten Kapitel die Intransigenz des Islams schonungslos schildert, haben viele oberflächliche Leser anscheinend den Eindruck gewonnen, der Autor habe eine Verteidigung Europas gegen die Invasoren im Sinn.

Dabei stellt er schon auf den ersten Seiten klar, daß dies nicht seine Absicht ist. Da erinnert er an Enoch Powells  denkwürdige Birminghamer Rede vom 20. April 1968, in der der große Tory seine Landsleute eindringlich vor den verheerenden Folgen der Masseneinwanderung aus den ehemaligen Kolonien warnte (JF 47/05). Mit Blick auf die aktuelle Wanderungsstatistik bescheinigt ihm Caldwell, daß er die Entwicklung de facto völlig richtig eingeschätzt habe. Er weist jedoch sogleich darauf hin, daß Powell sich täuschte, wenn er glaubte, die Engländer der künftigen Generationen würden sich dagegen zur Wehr setzen. Bei der Erklärung dieses Irrtums entfaltet er seinen typischen Mutterwitz, mit dem es ihm allemal gelingt, den Fallen der Political Correctness zu entgehen. Der selbstbewußte britische Imperialist Powell, meint er, konnte beim besten Willen nicht vorhersehen, daß seine nachgeborenen Landsleute einmal völlig wehrlos sein würden, weil sie sich gegenüber den Einwanderern schuldig fühlen. „Sie sind hier, weil wir dort waren“, läßt er die kapitulierenden europäischen Schlappschwänze sagen, und: „Sie sind arm, weil wir reich sind.“

Die Kulpabilisierung (Erzeugung von Schuldgefühlen) der Eingeborenen, für die in England die systematische Anschwärzung des weißen Mannes sorgte, leistete in Deutschland die Kollektivscham wegen der Verfolgung der Juden. Hinter solchen psychologischen Motiven macht der Verfasser jedoch als die eigentlichen Gründe der Wehrlosigkeit der Europäer ihren religiösen und kulturellen Relativismus aus. „Ihre Toleranzgesetze“, schreibt er, „arbeiteten zugunsten der Intoleranten.“ Seltsamerweise scheint er als Amerikaner aber gleichwohl eine tiefe Genugtuung darüber zu empfinden, daß das alte Europa sich nun endlich auch in eine Gesellschaft von lauter Einwanderern verwandelt. Dies nämlich soll nach ihm letztlich das Ergebnis der „Revolution in Europa“ sein.

Christopher Caldwell: Reflections on the Revolution in Europe. Immigration, Islam and the West. Can Europe be the same with different people in it? Doubleday Publishers, New York, London, Toronto, Sydney, Auckland 2009, gebunden, 422 Seiten, 17,95 Euro

Prof. Dr. Robert Hepp ist emeritierter Soziologe an der Universität Vechta. In den achtziger Jahren wurde er wegen seines Plädoyers für eine „politische Demographie“ und seiner Warnungen vor einer durch Geburtenschwund und Einwanderung befeuerten Ethnomorphose scharf angegriffen und sogar strafrechtlich belangt.

Foto: Straßenszene in London-Brixton: „Ihre Toleranzgesetze arbeiteten zugunsten der Intoleranten“

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