© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/09 30. Oktober 2009

Frisch gepresst

Unverzüglich. Am 1. November 1989 wurde der Anfang Oktober von der DDR-Regierung verfügte Visazwang für Reisen in die Tschechoslowakei wieder aufgehoben – und danach überschlugen sich die Ereignisse. Tausende DDR-Bürger fahren schnurstracks zur Prager Botschaft der Bundesrepublik. Am Abend des 3. November erhalten sie ihre Ausreisegenehmigung in den Westen. Nur wenige Stunden später öffnet sich der Eiserne Vorhang zwischen Böhmen und Bayern: Mit Beginn des 4. November dürfen alle DDR-Bürger unter Vorlage ihres Personalausweises ausreisen. Und während noch Hunderttausende auf dem Berliner Alexanderplatz medienwirksam für eine bessere DDR ohne SED-Bonzen demonstrieren, stauen sich am Grenzübergang Mühlbach (Pomezí nad Ohří)/Schirnding kilometerweit die Pkws. Zehntausende nutzen den kurzen Umweg in den Westen – bis am Donnerstag, dem 9. November kurz vor 19 Uhr, Politbüro-Mitglied Günter Schabowski bei einer Pressekonferenz in Ost-Berlin auf die Nachfrage, wann die verkündete Möglichkeit zur Ausreise über die „Grenzübergänge der DDR“ in Kraft trete, antwortete: „Das tritt nach meiner Kenntnis ... ist das sofort, unverzüglich!“ Die Stunden vor und nach dem Mauerfall schildert am 2. November um 21 Uhr eine 75minütige ARD-Dokumentation, die auch in Buchform erhältlich ist (Florian Huber: Schabowskis Irrtum: Das Drama des 9. November. Rowohlt Verlag, Berlin 2009, gebunden, 220 Seiten, 17,90 Euro).

 

Wall Street. Die größte Weltwirtschaftskrise seit dem Schwarzen Freitag vor genau achtzig Jahren, ausgelöst vom faktischen Bankrott der „Wall Street“ und der „Londoner City“, das Weltfinanzsystem am Leben erhalten nur durch Billionen an Steuerzahlergeld – all das scheint die Mehrheit der tonangebenden Schriftsteller und Theatermacher nur peripher zu interessieren. Ernst Höll gehört hingegen zu den ersten, die den Versuch unternehmen, das unglaubliche Geschehen, das in den USA seinen Anfang nahm und durch Vermittlung von deutschen Banken und Sparkassen manchen „Zukunftsfond“ von Kleinsparern mitverschlang, theatertauglich aufzuarbeiten. In seinem Buch über „Das Wall Street Komplott“ (Banker und Politiker – Poker um Geld und Macht. Shaker Media Verlag, Aachen 2009, broschiert, 151 Seiten, 14,90 Euro) unternimmt er eine literarische Reise nach New York, das symbolische Zentrum der Finanzkrise. In 22 Szenen schildert Höll in kurzweiligen, aber zugleich hintergründigen Dialogen, wie die Finanzjongleure agieren, um – ohne jegliche produktive Arbeit – ihren privaten Reichtum zu vermehren. Im Stil eines Theaterstücks offenbart er, wie selbst einst betuliche Bankangestellte in Europa versuchen, schnell noch ein Stück vom längst verdorbenen Spekulationskuchen abzubekommen.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen