© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/09 30. Oktober 2009

Eine geschlossene Gesellschaft der Offenen
Der Bonner Staatsrechtler Josef Isensee formuliert Kritik an einer Tagung linksliberaler Verfassungsdeuter und ihrem Anspruch, für die ganze Zunft zu reden
Oliver Busch

Josef Isensee zählt zu den angesehensten deutschen Staatsrechtslehrern. Seit 2002 der 72jährige geborene Bonner Ordinarius emeritiert, bleibt aber als Wissenschaftler, Publizist und verfassungsrechtlicher Gutachter weiter produktiv, daß die stattliche Zahl seiner Gegner fürchten muß, auch der quirlige Jurist werde mindestens jene 90 Jahre erreichen, die in seinem Metier von Hobbes bis Schmitt die Norm zu sein scheinen.

Wie alle wahren Selbstdenker ist der Katholik Isensee sich unserer begrenzten Vernunftkräfte hinreichend bewußt, respektiert die Komplexität des Wirklichen zu sehr, als daß er der Versuchung widerstehen könnte, die Bonner oder Berliner Zeitläufte ironisch zu kommentieren. Reichlich Gelegenheit bot ihm die Festschrift für einen Kollegen, den Würzburger Staatsrechtler Helmuth Schulze-Fielitz, einen erklärten „Alt-68er“, der Isensee in der Juristen-Zeitung (19/09) einen Rezensionsessay widmet.

Aus Anlaß von Schulze-Fielitz’ 60. Geburtstag fand im März 2007 ein Symposium in der hehren Absicht statt, „der Staatsrechtslehre als Wissenschaft Ziel und Richtung zu weisen“. Persönlich und fachlich verbunden mit dem Jubilar, kamen in Unterfranken jedoch nur Professoren „linksliberaler Observanz“ zusammen. „Weltanschauliche Homogenität“ sei also garantiert gewesen, die Tagung insoweit „abgeschottet gegen fundamentale Kritik wie gegen inkompatible Doktrin“. Paradox, wie Isensee befindet, denn unter dem „Leitgedanken einer offenen Gesellschaft der Verfassungsinterpreten tagte hier eine geschlossene Gesellschaft der Offenen“, die ungeachtet solcher Verpanzerung sich darin gefiel, „fundamentale Kritik und Pluralismus“ als „wissenschaftlichkeitskonstituierende Größen geradezu rituell“ zu beschwören und zu beanspruchen, „für die ganze Zunft zu reden und sie belehren“. In solcher hybriden Selbstgerechtigkeit entdeckt Isensee den Kitt, der diese Gruppierung zusammenhält, deren Netzwerk inzwischen viele hohe Richterstellen und zahlreiche Lehrstühle umspannt.

Gleichwohl klagen diese Etablierten weiter mit dem Gestus der Nonkonformen über die „Vermachtungsprozesse“, die „Seilschaften“ in der Berufungspolitik, die „Monopolbildung im Verlagswesen (C. H. Beck!)“, den übermächtigen Einfluß der Max-Planck-Institute, den „politischen Proporz“ in der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer und natürlich die vorgeblich untergründige Virulenz der „Schmitt-Schule“, zu der in diesem Lager Gelehrte wie Isensee gerechnet werden. Tatsächlich belegten solche Kraftübungen, für sich selbst die „reine“ Wissenschaft und souveräne Reflexivität zu reklamieren, „den anderen“ hingegen Parteilichkeit und Machtstreben zu unterstellen, wie das Symposion sich in den linksliberalen Stammtisch verwandle, „und zwar in einen solchen neuer Art: einen Stammtisch, der die Lufthoheit anstrebt über den Schreibtisch der Kollegen“. Daß sich darüber hinaus recht massive gesellschaftspolitische Ziele hinter dem ganzen arroganten Objektivitätszauber verstecken, verrät Isensees Hinweis auf die derart perhorreszierte „Moralisierung des Rechts“. Darunter verstünden Linksliberale einen „forcierten vorgeburtlichen Lebensschutz“ in Theorie und Rechtsprechung, dessen Korrektur sie anmahnten.

Selbstredend verfüge diese Gemeinde auch über einen Heiligen, den jüdischen Liberalen und Emigranten Hans Kelsen (1881–1973), den sie in einem durchsichtigen Kanonisierungsmanöver zum „Jahrhundertjuristen“ hochgejubelt habe. Man erinnert sich, wie einer der erfolgreichsten Protagonisten dieser Gruppe, der heutige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, im Umfeld seines Karlsruher Karrieresprungs jedem Interviewer in den Block diktierte, daß Kelsen sein Vorbild sei. Hätte er Carl Schmitt genannt, wäre ihm kaum noch eine Planstelle am Amtsgericht Pasewalk sicher gewesen.

Sich selbst kürende „Objektivisten“ wie Voßkuhle raten, wie Isensee zitiert, mit viel rhetorischem Pathos gern dazu, während der Amtszeit als Richter oder Minister auf publizistische Interventionen zu verzichten: eine Regel, die sie für sich natürlich nicht gelten lassen. Folglich fand die JZ-Redaktion nichts dabei, vor Isensees Rezensionsessay einen Leitaufsatz zu plazieren zum salbungsvollen Thema: „Stabilität, Zukunftsoffenheit und Vielfaltssicherung – Die Pflege des verfassungsrechtlichen ‘Quellcodes’ durch das BVerfG“. Autor: Bundesverfassungsrichter Voßkuhle.

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