© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/09 06. November 2009

Einheit und Spaltung auf chinesisch
Ostasien: Eine Wiedervereinigung der beiden Chinas ist nur zu Pekinger Bedingungen denkbar / Taiwanesen für Beibehaltung des Status quo
Günther Deschner

Seit 60 Jahren gibt es faktisch zwei Chinas. Und wenn es nach der 23-Millionen-Bevölkerung von Taiwan geht, soll dieser völkerrechtlich ungeklärte Zustand am besten auch so bleiben. Laut einer aktuellen Studie lehnt eine Mehrheit sowohl eine Wiedervereinigung als auch die Unabhängigkeit ab. 51 Prozent der Bevölkerung betrachten sich als Taiwanesen, 41 Prozent als Taiwanesen und Chinesen. Aber – für Peking unerfreulich – weniger als fünf Prozent sehen sich nur als Chinesen. Dennoch fand sich auch für eine Unabhängigkeit der Insel, die inzwischen pro Kopf gerechnet mehr produziert als Südkorea, keine Mehrheit. Das läßt sich nur aus der wechselvollen Geschichte erklären.

Nach der Kapitulation des Japanischen Kaiserreichs 1945 mußte Tokio seine – in den vorangegangenen Jahrzehnten relativ modern und wohlhabend gewordene – Kolonie Takasago Koku (Formosa) an den chinesischen General Chen Yi übergeben. 1952 erfolgte dann wie im Falle Koreas auch der völkerrechtliche Verzicht. Kurz nach der Proklamation der kommunistischen Volksrepublik China durch Mao Zedong am 1. Oktober 1949 hat sich das dem Festland vorgelagerte Taiwan wieder von Peking losgesagt. Schon Anfang 1949 hatte sich die nationalchinesische Kuomintang-Regierung unter Tschiang Kai-schek auf die Insel zurückgezogen, nachdem die Kommunisten auf dem Festland den Bürgerkrieg gewonnen hatten. Beide Regierungen betrachteten China danach dennoch als eine staatliche Einheit. Peking wie Taipeh beanspruchten weiterhin, für ganz China zu sprechen.

Bis 1971 hatte Taiwan als „Republik China“ den chinesischen UN- und Sicherheitsratssitz inne. Heute pflegen nur der Heilige Stuhl und einige Kleinstaaten noch offizielle diplomatische Beziehungen mit Taipeh. Peking drohte wiederholt mit militärischer Gewalt, sollte Taiwan formell die Eigenstaatlichkeit erklären. 2005 beschloß der Volkskongreß in Peking sogar ein „Antisezessionsgesetz“, das die Armee zu einem Militärschlag ermächtigt, sollte sich Taiwan staatsrechtlich von China loslösen. Während es in den fünfziger Jahren häufig zu militärischen Konflikten („bombing hours“) zwischen den beiden Chinas kam, entspannte sich die Lage nach dem „Ausschluß“ Taiwans aus der Uno, in den achtziger Jahren kam es sogar zu einer Annäherung. Bis zu den ersten freien Wahlen 1992 wurde Taiwan durch die autoritäre Einheitspartei Kuomintang (KMT) regiert. Sie hatte sich eine Wiedervereinigung unter ihren Bedingungen zum Ziel gesetzt.

Erst mit der Wahl von Chen Shui-bian (Demokratische Fortschrittspartei/DPP) im Jahr 2000 kühlte das innerchinesische Klima wieder ab. Der erste auf Taiwan geborene Präsident hatte sich die staatliche Unabhängigkeit und die Aufnahme in die Uno als souveräner Staat zum Ziel gesetzt. Peking bemühte sich – auch mit Schikanen und militärischen Drohungen – darum, ihn davon abzubringen. Erst unter dem 2008 gewählten neuen Präsidenten Ma Ying-jeou (KMT) entspannte sich die Lage wieder.

Derzeit läßt sich das Vorgehen der 1,3-Milliarden-Volksrepublik als Politik von Zuckerrohr und Peitsche beschreiben. Peking gestattet Taiwanesen eine Reihe von Sonderrechten in China und macht Taipeh Zugeständnisse unter der Bedingung einer losen „Wiedervereinigung“ im Rahmen der Politik „ein Land, zwei Systeme“. So hat etwa jeder Taiwanese automatisch auch die Staatsbürgerschaft der VR China. Es gibt keine Beschränkungen für die Einreise von Taiwan nach China. Dies nützen jährlich etwa drei Millionen Taiwanesen, um auf dem Festland zu arbeiten oder Geschäfte zu machen. Im Falle der Zustimmung zu einer „Wiedervereinigung“ unter der Pekinger Formel soll Taiwan ähnlich wie die frühere britische Kronkolonie Hongkong Sonderrechte und Begünstigungen erhalten. Sollten in Pekings Augen friedliche Mittel ihre Wirkung verlieren, könnte es in einer Krise auf militärischen Druck zurückgreifen – militärischer Beistand für Taiwan aus Washington ist dann aus vielerlei Gründen sicher nicht zu erwarten.

Foto: Einen Einblick in die Geschichte Taiwans gibt ein Buch von Stefan Fleischauer: Der Traum von der eigenen Nation – Geschichte und Gegenwart der Unabhängigkeitsbewegung Taiwans, VS Verlag, Wiesbaden 2008, 49,90 Euro

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