© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/09 06. November 2009

Dresdens Musikseele
Musik: Eine Erinnerung an Carl Gottlieb Reißiger
Wiebke Dethlefs

Der Name des bedeutendsten Musikers, den die Mark Brandenburg hervorgebracht hatte, ist heute weitgehend vergessen. Vergessen ist damit auch seine nicht unbeträchtliche Rolle im deutschen Musikleben. Der am 31. Januar 1798 in Belzig geborene Reißiger besuchte in Leipzig die Thomasschule und begab sich 1821 nach Wien, um Schüler Salieris zu werden. Seine erste Oper „Dido“ führte Carl Maria von Weber 1824 in Dresden erstmalig auf. Reißiger wurde Webers Assistent und nach dessen frühem Tod sein Nachfolger an der Dresdner Hofoper. Wagners „Rienzi“ wurde unter Reißiger dort am 20. Oktober 1842 erstaufgeführt. Dreißig Jahre bestimmte er als Dirigent und Komponist das Musikleben Dresdens und damit einen zentralen Teil des deutschen überhaupt.

Im Zentrum seines umfangreichen Werkkatalogs steht neben neun Opern die Kammermusik, darunter seine zugegeben ungleichwertigen 23 Klaviertrios (Schumann schätzte viele von ihnen hoch), von denen zwei kürzlich beim Label Hungaroton (HCD 32488) erstmals auf Tonträger erschienen sind. Reißiger huldigt in diesen Trios seinen Lieblingen Beethoven, Cherubini und immer wieder Weber, doch formt er deren Stil zu einer mehr „bürgerlichen“, gefühlsbetonten Tonsprache um, dabei sich oft gefährlich der Salonmusik nähernd. Nicht ohne Grund erfreuten sich seine Klavierwerke und seine Chorlieder im 19. Jahrhundert (er beflügelte mit ihnen das deutsche Männerchorwesen) solcher Beliebtheit – man darf hier ähnlich wie bei Lortzing von einem musikalischen Biedermeier reden.

Daß Reißiger heutzutage ein Unbekannter ist, mag nicht zuletzt Richard Wagner geschuldet sein. Wagner warf Reißiger schlampige Dirigate vor, überging ihn als älteren Kapellmeister mit einem kleinen Chorstück für den sächsischen König, und als Reißiger mit einem Orden ausgezeichnet wurde, den Wagner für sich erhofft hatte, brach die Gegnerschaft offen aus. Wagner ließ von nun an keine Gelegenheit aus, den Konkurrenten zu schmähen, was durch all seine Biographen unreflektiert weitergetragen wurde und so heute noch nachwirkt.

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