© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/09 06. November 2009

Vor dem Vergessen bewahrt
DDR: Die jetzt neu herausgegebenen „Vernehmungsprotokolle“ von Jürgen Fuchs legen Zeugnis ab von der politischen Verfolgung in der SED-Diktatur
Matthias Bath

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Mit diesen Sätzen beginnt eines der eindringlichsten Zeugnisse der politischen Verfolgung in der DDR der Ära Honecker: die „Vemehmungsprotokolle“ des Schriftstellers Jürgen Fuchs. Kein anderer hat die subtile Gewalt des DDR-Staatssicherheitsdienstes so präzise beschrieben wie Fuchs in seinem Buch.

Jürgen Fuchs gehörte Mitte der siebziger Jahre zur Jenaer Dissidentenszene. 1975 wurde er aus der SED ausgeschlossen und kurz vor Abschluß seines Psychologiestudiums von der Universität relegiert. Mittellos und ohne berufliche Perspektive zogen Fuchs und seine Familie im Sommer 1975 zu Robert und Katja Havemann nach Grünheide bei Berlin. Fuchs geriet damit ins Zentrum des Widerstandes gegen die SED-Diktatur. Nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns im November 1976 sperrten die DDR-Behörden Havemanns Grundstück in Grünheide ab, um ihn zu isolieren. Als Fuchs von hier aus am 19. November 1976 zum Ost-Berliner Büro des Nachrichtenmagazins Der Spiegel fahren wollte, wurde er von zivil gekleideten MfS-Angehörigen aus dem Auto heraus verhaftet.

Neun Monate lang war Fuchs von nun an im zentralen Stasi-Untersuchungsgefängnis in Berlin-Hohenschönhausen den Verhörspezialisten des MfS ausgeliefert. Gegen ihn wurde von der für die Verfolgung „politischer Untergrundtätigkeit“ zuständigen MfS-Abteilung ein Ermittlungsverfahren wegen „staatsfeindlicher Hetze“ eingeleitet, wofür man in der DDR mit bis zu zehn Jahren Haft rechnen mußte. Fuchs sollte sich selbst belasten, seine Freunde verraten und sich von den zu Staatsfeinden abgestempelten Kritikern Wolf Biermann und Robert Havemann distanzieren. Trotz monatelanger Haft ließ er sich jedoch nicht dazu bewegen, Freunde und Mitstreiter zu verraten. Schließlich blieb dem MfS im Sommer 1977 nur noch, den Häftling auszubürgern und nach West-Berlin abzuschieben.

Schon während seiner Haftzeit nahm sich Fuchs vor, alles genau festzuhalten, was er dort erlebte. Über die gesamte Haftzeit hinweg notierte er, ohne richtigen Stift oder Schreibpapier, die zermürbenden Verhörmethoden und unmenschlichen Haftbedingungen, denen er ausgesetzt war, mit zusammengerolltem Staniolpapier auf kleinen Papierfetzen oder einfach auch nur im Gedächtnis. Gleich nach seiner Freilassung am 26. August 1977 begann er mit der Niederschrift dieser Notizen und Erinnerungen. Bereits im Oktober 1977 begann der Spiegel mit der Veröffentlichung dieser Niederschrift als Serie. 1978 erschienen dann die „Vernehmungsprotokolle“ als Taschenbuch im Rowohlt-Verlag.

Fuchs’ präzise Schilderungen machten wie kaum ein zuvor veröffentlichtes Buch das Funktionieren des DDR-Unterdrückungsapparates deutlich. Sie waren ein einzigartiges zeithistorisches Dokument, das schonungslos den menschenverachtenden Umgang der DDR-Diktatur mit Kritikern und Oppositionellen aufzeigte. International wurde auf einmal bekannt, was sich hinter den Mauern des geheimen Gefängnisses in Hohenschönhausen abspielte. Dies war nicht nur ein herber Schlag für das MfS, sondern schadete auch dem Ansehen der DDR gegenüber dem Ausland.

Die „Vemehmungsprotokolle“ waren bald vergriffen. Nach dem Ende der SED-Diktatur wurden sie 1990 noch einmal aufgelegt. Danach waren sie fast zwanzig Jahre lang nicht mehr erhältlich.

Als Jürgen Fuchs 1994 erfuhr, daß er an Leukämie erkrankt war, äußerte er den Verdacht, das MfS habe ihn während seiner Haft in Hohenschönhausen radioaktiv verstrahlt. Ein Nachweis hierüber ließ sich jedoch nicht führen. Am 9. Mai 1999 erlag Fuchs im Alter von 48 Jahren seiner Krankheit.

Zehn Jahre nach seinem Tod hat nun die Gedenkstätte Hohenschönhausen die „Vemehmungsprotokolle“ im Berliner Jaron Verlag in einer hochwertigen und mit Bildern des Berliner Fotografen Tim Deussen bereicherten Neuausgabe herausgegeben und so vor dem Vergessen bewahrt.

Foto: Jürgen Fuchs: Vernehmungsprotokolle. Jaron Verlag, Berlin 2009, gebunden, 176 Seiten, Abbildungen, 14,90 Euro

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