© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/09 06. November 2009

Stalin und der baltische Weg
Zwei Ausstellungen in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen dokumentieren die dunkle Zeit der sowjetischen Okkupation im Baltikum nach 1940
Ekkehard Schultz

Seit Ende Oktober können in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen zwei neue Ausstellungen besichtigt werden, die an den Abschluß des Hitler-Stalin-Paktes im August 1939 und dessen Folgen für Mittel- und Osteuropa erinnern. In beiden Präsentationen steht das Schicksal der baltischen Staaten im Mittelpunkt. Letztlich waren die damaligen Ereignisse in der Ostseeregion jedoch stellvertretend für die tragische Geschichte, die zahlreiche andere Länder nur wenige Jahre später erlitten.

Die erste Ausstellung mit dem Titel „Chronik der Gewalt: Litauen 1939–1941“ vermittelt die wichtigsten Eckdaten anhand persönlicher Schicksale. Nur wenige Wochen nach der Unterzeichnung des Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspaktes wurde Litauen gezwungen, einen Vertrag über die „gegenseitige Unterstützung“ mit der Sowjetunion zu unterschreiben (Sowjetisch-Litauischer Beistandsvertrag vom 10. Oktober 1939). Die kleine Republik mußte damit den Einmarsch von Truppen der Roten Armee akzeptieren, welche die Rolle eines Trojanischen Pferdes spielen sollten. Als freundliche Geste erhielt Litauen einen Gebietsstreifen an der östlichen Grenze mit der Stadt Wilna zugesprochen, um derentwillen sich das Land fast zwanzig Jahre lang in einem De-facto-Kriegszustand mit Polen befand, das dieses Gebiet unter Bruch des Abkommens von Suwałki 1920 eroberte.

Am 14. Juli 1940 erging aus Moskau ein Ultimatum an die litauische Regierung, eine dem Kreml genehme Regierung zu bilden sowie weitere sowjetische Truppen im Land zu dulden. Infolge des massiven Drucks floh der damalige litauische Staatspräsident Antanas Merkys nach Deutschland. Dies gab den Sowjets wiederum einen Vorwand, direkt in die innenpolitischen Belange des Staates einzugreifen. Kurz darauf wurde der Beitritt Litauens zur Union der Sozialistischen Republiken (3. August 1940) erzwungen. Damit verfügten die Moskauer Machthaber endgültig über alle Mittel, sämtliche Bereiche des öffentlichen Lebens nach ihren eigenen Vorstellungen neu zu ordnen und dem Land ein kommunistisches Regime aufzuzwingen. Das Volk lebte von nun an in einem ständigen Klima der Angst.

Die Okkupation war nur der Auftakt einer riesigen Gewaltspirale: Nach der deutschen Besetzung des Landes führten die sowjetischen Sieger unmittelbar nach der vermeintlichen „Befreiung“ 1944 zahlreiche Massendeportationen durch. Zwischen 1940 und 1958 wurde rund ein Drittel der litauischen Gesamtbevölkerung direktes Opfer des Terrors. Die meisten Betroffenen gehörten zur ehemaligen Bildungsschicht.

In der Präsentation „Der baltische Weg“ steht dagegen der fünfzigste Jahrestag des Paktes im Mittelpunkt. Am 23. August 1989 bildeten etwa eine Million Menschen aus den damaligen drei baltischen Sowjetrepubliken für 15 Minuten auf einer Länge von fast 600 Kilometern eine Kette, um auf diese Weise die Situation in ihrer Heimat zu verdeutlichen und für ein Ende der sowjetischen Fremdherrschaft zu demonstrieren. Doch auch im Westen fielen die Reaktionen auf diese Aktion eher verhalten aus. Dort fürchtete man, daß das Streben nach staatlicher Eigenständigkeit die Reformen unter Michail Gorbatschow gefährden könnte, wünschte aus strategischen Gründen eine Erhaltung der Sowjetunion oder zeigte sich an der Geschichte dieses Teiles Europas desinteressiert. Oft glaubte man zudem der Kreml-Propaganda, welche die Massendemonstration und ebenso die folgenden Unabhängigkeitserklärungen als Zeichen für eine gefährliche „nationalistischen Hysterie“ wertete und sie als solche auch auf dem internationalen Parkett zu brandmarken versuchte.

Am Eröffnungstag wurde ergänzend zu den Ausstellungen in Hohenschönhausen der Film „The Soviet Story“ des lettischen Regisseurs Edvins Snore gezeigt. In „The Soviet Story“ werden nicht nur zentrale Verbrechen der Diktatur thematisiert, sondern auch die kommunistische Ideologie als solche einer kritischen Analyse unterzogen. Der Film zeigt, daß eine weit engere Verwandtschaft zwischen der kommunistischen und der nationalsozialistischen Ideologie besteht, als dies in vielen westlichen Staaten bis heute anerkannt wird. So waren Hitler die Dimensionen der Verbrechen des Sowjet-Regimes vertraut.

Wichtig sind dem Filmemacher Snore jedoch nicht nur Verweise auf das historische Geschehen. Mit „The Soviet Story“ möchte er ebenso deutlich auf das geringe Fingerspitzengefühl des Westens im Umgang mit den Repräsentanten der ehemaligen Sowjetunion aufmerksam machen, die direkte Verantwortung für die kommunistische Diktatur trugen. Während einerseits im Westen die Verbrechen des Nationalsozialismus klar und eindeutig verurteilt werden, werden andererseits die Opfer des Kommunismus verniedlicht und die Täter geschont. Anders als bei NS-Symbolik sei der Handel mit kommunistischen Symbolen überall problemlos möglich. Zudem würden erneut die Interessen von Minderheiten staatspolitischen Machtinteressen untergeordnet.

Foto: „Der Baltische Weg“, Menschenkette im Baltikum am 23. August 1989: „Chronik der Gewalt: Litauen 1939–1941“ und „Der baltische Weg“. Bis zum 15. Januar 2010 in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Genslerstr. 66, 13055 Berlin. Tägl. 9–18 Uhr. und Finanzkrise: „Kippt Deutschlands zweite Republik?“ (JF 28/09)

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