© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/09 13. November 2009

Brüsseler Handlanger
Verbraucherschutz: Willfährige EU-Gesetzgebung im Dienste globaler Chemie-, Pharma- und Gentechnik-Konzerne
Michael Howanietz

Zahlreiche gefährliche Chemikalien sind von der EU verboten worden – allerdings gibt es oft ausreichend Hintertürchen für die Erzeuger. Die Verbote werden unzureichend oder nicht kontrolliert, was sie beliebig hintergehbar macht. Die Schlupflöcher erinnern frappant an vergleichbare Richtlinien wie etwa das im März 2009 in Kraft getretene Verbot von Tierversuchen für die Inhaltsstoffe von Kosmetika und ihre Endprodukte.

Die Chemikalien unter den Zutaten der duftenden Sprühnebel, Lotionen und Hautcremes werden ausdrücklich ausgenommen, da sie unter die EU-Chemikalienverordnung (REACH) fallen. Chemikalien machen aber 90 Prozent der Inhaltsstoffe von Kosmetika aus. Das auf dieselben zur Anwendung gelangende Tierversuchsverbot ist demnach nahezu unerheblich. Im Bereich Pflanzenschutzmittel hat das neue Brüsseler Regelwerk lediglich 22 von 400 giftigen Wirkstoffen unter Verbot gestellt. Verboten sind künftig Pestizide, die Krebs auslösen, die unfruchtbar machen oder das Erbgut schädigen.

Nicht verboten sind beispielsweise manche Bienengifte oder Pestizide und Stoffe, die das Immunsystem schädigen können oder hormonell wirksam sind, wie etwa Bisphenol A (BPA). Als kürzlich die bei Kunststoffprodukten verwendete zugelassene Alltagschemikalie BPA auch in Baby-Schnullern entdeckt wurde (JF 42/09), berief sich eine der kritisierten Firmen zu Recht auf die aktuelle Gesetzeslage: „Während bei der Produktion des Kunststoffschildes und des Griffes der Schnuller von Philips AVENT Bisphenol A (BPA) zum Einsatz kommt, besteht der Sauger aus Silikon, das kein BPA enthält“, hieß es in einer Pressemitteilung des niederländischen Konzerns. „Philips AVENT Produkte werden von Millionen gesunder Babys weltweit genutzt – und ihre Gesundheit liegt uns am Herzen. Deshalb entsprechen unsere Schnuller selbstverständlich allen gesetzlichen Regelungen.“ Um die Meßergebnisse der Umweltorganisation Global 2000 nachvollziehen zu können, bemühe man sich, das Untersuchungsverfahren zu verstehen. Inzwischen wurde bekannt, daß Philips künftig zusätzlich BPA-freie Produkte anbiete.

Auch beim Thema der verbotenen „Ozonkiller“ (Fluorchlorkohlenwasserstoffe/FCKWs, Kältemittel R12 usw.) klaffen Theorie und Praxis weit auseinander. Während der europäische Konsument im Namen der Ökologie viel Geld für Ersatzmittel, Geräteumrüstung und -entsorgung von alter Klimatechnik aufbringen mußte, fanden sich andernorts findige Profiteure. Nachdem die Substanzen in Europa verboten waren, stieg die Produktion in China um über 300 Prozent. Die Chemikalien werden – zumeist per Fax – im Reich der Mitte bestellt, dort in mit gefälschten Papieren versehene, falsch etikettierte Behältnisse abgefüllt, per Shanghai verschifft und über wechselnde, mehrstrahlige Netzwerke nach Europa exportiert. Hier kommen sie in weiterhin mit FCKW-Aggregaten ausgestatteten Kühlhäusern zum Einsatz – nach dem Motto: Wo kein Kläger, da auch kein Richter.

Daß der Anstieg von Hautkrebserkrankungen in unmittelbarem Zusammenhang mit einer dünneren Ozonschicht steht und diese aus der Chemikalienproduktion in China herrührt, ist nicht zu beweisen. Aber eine Parallelität ist augenfällig: Sobald eine Chemikalie in der EU auf die Verbotsliste gesetzt werden soll, laufe die Mehrproduktion derselben in China an, berichten Umweltorganisationen. Da in der EU getarnte Importe nicht kontrolliert werden und der Strafrahmen im seltenen Falle einer Entdeckung – gemessen an den Gewinnchancen – lachhaft gering ist, ändern die wortreich proklamierten EU-Verbotsgesetze in diesem für den Konsumenten- und Umweltschutz so wesentlichen Bereich nichts.

In den USA wurde – dank erfolgreicher Lobby-Arbeit im Kongreß – das Farm-Control-Gesetz erlassen. Es schreibt den landwirtschaftlichen Erzeugern praktisch vor, welches Saatgut sie zu verwenden haben, sowie welche Dünge- und Agrospritzmittel sie dann anzuwenden haben. Wem ist damit gedient? Allein US-Konzernen wie Monsanto, die durch milliardenschwere Einkaufstouren globale Saatgutmonopole errichten – mit Auswirkungen auch in Europa.

Durch die Etablierung der angeblich heilsbringenden „grünen“ Gentechnik können Bauern in aller Welt von neuartigem Saatgut abhängig gemacht werden. Das angeblich ertragreichere oder schädlingsresistente Saatgut ist aber erstens teuer, weil patentiert (Lizenzgebühren), und zweitens oft an den Einsatz eines speziellen Pflanzenschutzmittels gebunden. Solch ein vermeintliches Wundermittel kann den Eintritt in eine bäuerliche Schuldenfalle bedeuten, wenn sich – entgegen allen Werbeversprechen – die zur erfolgreichen Unkrautbekämpfung erforderliche Anwendungsintensität binnen weniger Jahre vervielfacht. Doch solche Aspekte spielen in den EU-Zulassungsverfahren für die Produktpalette der Agro-Gentechniker keine Rolle.

Informationen über den Stand der EU-Zulassung von 118 kommerziellen transgenen Pflanzen finden sich auf der „i-Bio“-Internetseite: www.transgen.de/zulassung/gvo/

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