© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/09 20. November 2009

„Kriegsähnliche Zustände“
Afghanistan: Die Bundesregierung beginnt sich ganz allmählich Gedanken über einen Abzug der Bundeswehr zu machen
Paul Rosen

Es sieht so aus, als würde Bewegung in den Afghanistan-Konflikt kommen. Nicht militärisch, denn der designierte Friedensnobelpreisträger und amerikanische Präsident Barack Obama denkt über eine Aufstockung der Kampftruppen in dem Land nach. Die USA setzen offenbar nach wie vor auf eine militärische Lösung. Allerdings gehen ihnen die Verbündeten reihenweise von der Fahne. Selbst die Bundesregierung, in den vergangenen Jahren fast nibelungentreu an der Seite der Amerikaner, will den Abzug der Truppen aus dem islamischen Land zum Thema machen. „Die Sankt-Nimmerleins-Haltung ist politisch nicht mehr tragbar“, sagte der neue deutsche Verteidigungsminister Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CSU) dem Stern.

Guttenberg nimmt damit Rücksicht auf die eigene Unionsfraktion im Bundestag, in der der Einsatz in Afghanistan nur noch mit Murren hingenommen wird. Zwar äußern sich öffentlich nur Abgeordnete wie Peter Gauweiler (CSU) oder in der abgelaufenen Legislaturperiode Willy Wimmer (CDU) kritisch zum deutschen Engagement. Aber das Murren in der Union ist lauter geworden. Die Abgeordneten können den Einsatz in ihren Wahlkreisen nicht mehr erklären, sondern geraten unter immer stärkeren Druck von Basis und Wählern.

SPD-Altkanzler Helmut Schmidt hat die Dinge im Hamburger Abendblatt auf den Punkt gebracht: „Dieser Krieg dauert nun schon acht Jahre.“ Er habe Zweifel, ob die Intervention insgesamt zu einem akzeptablen Ergebnis führe, so Schmidt. Das sind genau die Zweifel, die viele in der Union auch haben.

Jeder schwere Anschlag in Afghanistan oder die Tötung von Unbeteiligten könnte die Regierung Merkel bis ins Mark erschüttern. Deshalb hat der redegewandte Guttenberg offenbar den Auftrag, die Betrachtung des Afghanistan-Einsatzes abzuändern und auf eine kritische Position umzusatteln. Der Verteidigungsminister hatte noch nicht einmal sein Büro komplett eingerichtet, da überraschte er die Öffentlichkeit schon mit dem Hinweis, es gebe „kriegsähnliche Zustände“ in Afghanistan.

Das Wort „Krieg“ hatte Guttenbergs Vorgänger Franz Josef Jung immer vermieden und statt dessen mit seinem hessischen Starrsinn gebetsmühlenartig die Aussage wiederholt, die Bundeswehr befinde sich in Afghanistan in einem Stabilisierungseinsatz. Dabei war diese verbale Frontlinie längst nicht mehr zu halten gewesen. Stabilisierung findet in Afghanistan nicht mehr statt. Die westlichen Soldaten jagen Taliban und sorgen sonst nur für ihre eigene Sicherheit. Zivile Aufbauprojekte sind ins Stocken geraten, Organisationen der Vereinten Nationen wollen ihr Personal ins sichere Ausland bringen.

Der afghanische Präsident Hamid Karsai hat die Legitimitätskrise um den Einsatz der westlichen Allianz selbst verstärkt. Mit einer massiven Wahlfälschung bei der Präsidentenwahl torpedierte Karsai das Argument, der Einsatz diene der Herstellung der Demokratie in seinem Land. Zwar kann eine Demokratie in einem Land mit mittelalterlichen Strukturen wie Afghanistan ohnehin nicht funktionieren, aber die Segnungen des Westens an den Hindukusch bringen zu wollen, war das wichtigste Argument, um Kritiker zum Schweigen zu bringen.

Guttenberg versucht, mit einem Besuch der Einsatzkräfte und mit Worten der Situation beizukommen. Er spricht von den „kriegsähnlichen Zuständen“ – eine Formulierung, für die er in vielen  Medien tagelang gefeiert wurde. Aber in Wirklichkeit ist noch nichts passiert. Altkanzler Schmidt entlarvte Guttenbergs Sprachkünste in zwei Sätzen: „Endlich hat einer mal gesagt, was wahr ist. Daraus ergibt sich aber noch nichts.“

Tatsächlich bedeuten die Äußerungen des Verteidigungsministers gar nichts. „Kriegsähnliche Zustande“ sind eben kein Krieg, und die Soldaten der Bundeswehr sehen sich Ermittlungen deutscher Staatsanwälte ausgesetzt, wenn sie in Afghanistan einen vermeintlichen Taliban erschießen oder vor der somalischen Küste ein Piratenboot versenken. Und daß der Einsatz „kein Friede, Freude, Eierkuchen“ ist, wußte man schon, ehe Guttenberg zu dieser Wort­hülse griff. Der junge CSU-Minister erinnert entfernt an Präsident Obama: Sein galantes Auftreten und die Kunst, gut formulieren zu können, machten ihn schnell zum Star. Nur hilft es nichts, wenn die Deutsche Presse-Agentur sich wie einst die DDR-Agentur ADN gebärdet und über eine „Offensive Guttenberg“ jubelt. Der Minister muß erst in der Realität des Verteidigungsministeriums und im Truppenalltag ankommen.

Foto: Verteidigungsminister zu Guttenberg im Ehrenhain für die Gefallenen im Feldlager Kundus: Auf dem langen Weg in die Realität

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