© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/09 20. November 2009

Erfolg und Misere der „Nazi-Jäger“
Der britische Journalist Guy Walters untersucht Mythen über die Verfolgung geflohener NS-Funktionsträger und ihre Häscher wie Simon Wiesenthal
Ivan Denes

Dokumentationen, Chronologien, Augenzeugenberichte, Monographien, aber auch literarische Werke über die während des „Tausendjährigen Reiches“ begangenen Verbrechen füllen ganze Bibliothekswände. Aber der Versuch, die Geschichte der Jagd nach den Verbrechern publizistisch aufzubereiten, ist jetzt, 64 Jahre nach Kriegsende, von dem britischen Journalisten und Romanautor Guy Walters erstmals unternommen worden.

Anhand eines ungewöhnlich umfangreichen Apparats – über 1.600 Fußnoten, 17 Seiten füllende Quellenangaben – beschreibt Walters die „Jagd“ nach den bekanntesten Kriegsverbrechern: Adolf Eichmann, Josef Mengele, Klaus Barbie, Franz Stangl, aber auch die illusorische Suche nach dem in Berlin 1945 umgekommenen Martin Bormann. Doch trotz dieses Aufwands bleibt das Werk eher ein lebhafter journalistischer Bericht und weniger eine wissenschaftliche Darstellung.

Der bekannteste aller „Nazi-Jäger“ war ohne Zweifel Simon Wiesenthal. Der Name wurde zum Mythos der von der Antifa dominierten Nachkriegszeit. Eines der zentralen Anliegen von Walters ist die Entmythologisierung Wiesenthals. Wie ein roter Faden zieht sich durch sein Buch der Tabubruch: Wiesenthal wird als unredlicher „Show-Mann“ entlarvt. Es werden nicht nur  handfeste Widersprüche in seinen drei bekannten Büchern („Ich jagte Eichmann“, „Die Mörder unter uns“ und „Gerechtigkeit, nicht Rache“) aufgezeigt, sondern minutiös die falschen Angaben dokumentiert, die Wiesenthal in die Welt gesetzt hat.

Ein vielsagendes Beispiel bietet der Fall Mengele. Der berüchtigte Arzt von Auschwitz starb nachweislich im Februar 1979 infolge eines Herzanfalls während des Schwimmens im Meer (Bertioga Beach, Brasilien). Im April 1979 berichtete Wiesenthal, er kenne jede Bewegung Mengeles zwischen Uruguay und Paraguay. Im Dezember 1980 ortete er Mengele in Uruguay und berichtete, dieser wäre bereit, sich einer deutschen Botschaft in Südamerika zu stellen. Im April 1982 erklärte Wiesen­thal wiederholt, Mengele bewege sich  nunmehr zwischen Bolivien, Uruguay und Paraguay. Und das ging so weiter bis Januar 1985.

Die flagrantesten Falschangaben machte Wiesenthal jedoch im Fall Adolf Eichmann. Da die Entführung Eichmanns durch den Mossad und das Gerichtsverfahren gegen ihn monatelang die internationale Öffentlichkeit beschäftigten, versuchte Wiesenthal davon zu profitieren: Er setzte sich in Szene als der Mann, der die entscheidenden Hinweise über Eichmanns Aufenthalt gegeben habe. Der damalige Mossad-Chef Isser Harel bezichtige Wiesenthal öffentlich und wiederholt der Lüge.

Gegen eine Zuwendung von jährlich 75.000 US-Dollar gestattete der Wiener, daß zwei Rabbiner in Los Angeles – Marvin Hier und Abraham Cooper – seinen Namen als Aushängeschild für das Simon-Wiesenthal-Zentrum benutzen. Hauptziel des Zentrums ist die Bekämpfung des Antisemitismus. Efraim Zuroff, der Vertreter des Zentrums in Israel, versucht bis zum heutigen Tag, auf den Spuren Wiesenthals zu wandern. So flog er im Juli 2008  in Begleitung eines ganzen Journalistentrosses nach Argentinien und Chile, um Aribert Heim, den berüchtigten Arzt des Lagers Mauthausen, dort dingfest zu machen. Heim liegt jedoch nachweislich seit 1992 auf einem Kairoer Friedhof.

Walters berichtet ausführlich über die Rolle gewisser katholischer Priester und Würdenträger bei der Flucht ehemaliger NS-Funktionäre und Quislinge – so von Ante Pavelić, dem „Poglavnik“ des kroatischen Satellitenstaates unter deutscher Besetzung – nach Südamerika und über den Beistand, den die argentinischen Behörden diesen Leuten auf Anweisung Juan Peróns gewährten.

Viel weniger bekannt wurde bisher die Hilfe, die die amerikanischen Geheimdienste OSS und dessen Nachfolger CIA ehemaligen NS-Größen leisteten. Der erstaunlichste Fall ist der von SS-Obersturmführer Klaus Barbie, dem Gestapo-Chef von Lyon. Von März 1947 bis März 1951 arbeitete Barbie für das amerikanische CIC (Counter Intelligence Corps), das ihm dann die Flucht nach Südamerika ermöglichte, wo er sich als erfolgreicher Geschäftsmann etablierte. Erst im Januar 1983 wurde er verhaftet und an Frankreich ausgeliefert.

Bemerkenswert ist auch Walters’ Schilderung der Entstehung des weitverbreiteten Mythos von „Odessa“ (Organisation der ehemaligen Angehörigen der SS). Frederick Forsyth, der mit seinem Thriller „The Odessa File“ (1972, dt. Die Akte Odessa) die Legende in die Welt gesetzt hatte, wurde von Wiesenthal mit dessen Phantasiegebilden gefüttert, die weitgehend auch in seinem „Ich jagte Eichmann“ Niederschlag gefunden haben – einem Machwerk, das auf erwiesenen Unwahrheiten gründete.

Guy Walters’ Buch wird sicherlich auch ins Deutsche übersetzt werden und auf so manchen Verschwörungstheoretiker ernüchternd wirken.

Guy Walters: Hunting Evil. The Nazi war criminals who escaped and the hunt to bring them to justice. Bantam Press, London 2009, gebunden, 518 Seiten, Abbildungen, 22,99 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen