© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/09 20. November 2009

Am Unrechtsstaat gescheitert
Die Bundeszentrale für politische Bildung präsentiert eine fragwürdige SED-Parteiengeschichte ausgerechnet an deren einstigem Gründungsort
Christian Dorn

Die Wahl des historisch korrekten Ortes garantiert noch nicht das richtige Geschichtsbild. Deutlich wurde das, als Ende letzter Woche an der Berliner Friedrichstraße ein Buch der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) vorgestellt wurde.

Im Admiralspalast, dem einstigen Gründungsort der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, stellten der in der DDR ausgebildete Historiker Andreas Malycha und Peter Jochen Winters, DDR-Korrespondent der FAZ von 1977 bis 1990, ihre „Geschichte der SED“ vor. Diese behandelt vorgeblich den gesamten Zeitraum, von der Gründung 1946 bis zur Transformation als heutige Linkspartei. Begründet wird die Publikation mit dem Umstand, daß bis heute vornehmlich der Repressionsapparat des MfS „im Zentrum der historischen Forschung“ gestanden habe, die SED hingegen weitgehend auf der Strecke geblieben sei. So fragwürdig allein schon diese Einschätzung ist, so dubios erscheinen Geschichtsverständnis der Autoren sowie Literaturverzeichnis und Personenregister der 480 Seiten starken Studie. Deutlich wird dies an den Begriffen vom „Unrechtsstaat“ DDR oder der „Zwangsvereinigung“ von SPD und KPD. Aus Sicht der Autoren taugen diese Formulierungen nichts, da sie bloße „Totschlagargumente“ seien.

Für Malycha – von 1983 bis 1991 Mitarbeiter des Instituts für Marxismus/Leninismus beim ZK der SED und dessen Folgeeinrichtung, des Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung – erklärt sich die Zwangsfusion von KPD und SPD mittels seiner „Dritteltheorie“. Der zufolge war im Frühjahr 1946 ein Drittel der Sozialdemokraten für die Vereinigung mit der KPD, ein Drittel dagegen und ein weiteres Drittel unentschieden. Die bemühte Distanzierung Malychas erscheint um so absurder, als er gleichzeitig einräumt, daß eine „freie Entscheidung nicht möglich“ gewesen sei und der Inhalt des von ihm abgelehnten Begriffs durchaus zutreffe.

Für seinen West-Kollegen Winters unterscheidet sich die SED-Gründung im Nachkriegsdeutschland – im Buch schreibt Malycha über dieses Kapitel – von allen anderen Parteigründungen dadurch, daß sie von der Besatzungsmacht gesteuert wurde. Zudem gebe es eine unübersehbare Kontinuität mit Blick auf den Nationalsozialismus. So habe es sich in beiden Fällen um totalitäre Bewegungen mit einer je eigenen Ideologie gehandelt. Beide Parteien hätten sich „den Staat zur Magd gemacht“, und die Gesellschaft sei in beiden Fällen von oben nach unten ideologisch „durchinfiziert“ worden. Zudem kennzeichneten die DDR wie das Dritte Reich die Abkehr von westlichen Politik-Modellen wie etwa der parlamentarischen Demokratie oder der Meinungsfreiheit. Um so verblüffender erscheint, wenn Malycha und Winters betonen, sie hätten während der Arbeit am Buch „keinen einzigen Streitpunkt“ gehabt. So entpuppt sich bei der Buchvorstellung, daß es nach Ansicht des Ost-Kollegen Malycha in den sechziger Jahren, also nach dem Mauerbau, noch Chancen für eine „Lebensfähigkeit des Systems“ gegeben habe. Dies sei spätestens mit dem Machtwechsel von 1971 vorbei gewesen. Dieser, so Malycha, unterscheide sich von 1989 insofern, als Walter Ulbricht und Erich Honecker – im Unterschied zu Egon Krenz – noch je eigene wirtschaftspolitische Konzepte gehabt hätten.

Eine bemerkenswerte Analyse lieferte auch Winters, als er „den größten Fehler der Wiedervereinigung“ der SPD zuschrieb, welche nach ihrer Neugründung im Herbst 1989 eine Aufnahmesperre für ehemalige SED-Mitglieder eingeführt hatte. Diese Entscheidung ist aus Sicht Winters’ einer von den zwei Hauptgründen, die für das Überleben der SED als heutige Linkspartei verantwortlich sind. Der andere Grund sei die Nicht-Auflösung der Partei. Laut Winters sei seinerzeit die Mehrheit der Parteibasis für eine Auflösung gewesen. Freilich, so Winters, stehe „das nicht in dem Buch drin“. Es ist leider nicht das einzige, was in diesem Buch fehlt: So entbehrt das Literaturverzeichnis eine ganze Reihe essentieller Werke wie etwa Christian von Ditfurth (Ostalgie oder linke Alternative), Gero Neugebauer und Richard Stöß (Die PDS. Geschichte. Organisation, Wähler, Konkurrenten), Hubertus Knabe (Honeckers Erben. Die Wahrheit über „Die Linke“) oder das „Braunbuch DDR“ von Olaf Kappelt, welches auch die NSDAP-Vergangenheit vieler SED-Funktionäre belegt.

Andreas Malycha, Jochen Winters: Die Geschichte der SED. Von der Gründung bis zur Links-partei. Herausgegeben von der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2009, 480 Seiten. Gegen ein Portoentgelt beim Herausgeber anzufordern: www.bpb.de

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