© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/09 27. November 2009

Mielkes Mann wäre entzückt
Philosophie im Dritten Reich: Die Aufsatzsammlung des Bremer Emeritus Hans Jörg Sandkühler atmet den Geist des DDR-Kaderphilosophen Manfred Buhr
Stefan Keller

Den SED-Philosophen Manfred Buhr einen Diener der Macht zu nennen, liefe fast auf seine Anonymisierung hinaus. Der 1927 in Kamenz geborene Arbeitersohn, 1944 wie Walter Jens und viele andere seines Jahrgangs in die NSDAP eingetreten, 1947 zur  SED gewechselt, erwarb sich nach 1955 erste Meriten bei der Hatz auf seinen Doktorvater Ernst Bloch, erhielt daher schnell einen Lehrstuhl und durfte 1970 das Zentralinstitut für Philosophie an der Ost-Berliner Akademie der Wissenschaften übernehmen, den „Thinktank“ des Politbüromitglieds und SED-Chefideologen Kurt Hager. Buhr bewilligte die raren „Westreisen“ für Kollegen, als fundamentalistischer Glaubenswächter war er in der Normannenstraße gern gesehener Denunziant, seit 1965 „IM Rehbein“, Schild und Schwert der Partei an der Weltanschauungsfront, ein Mann, von dem Lebensschicksale abhingen.

Derzeit finden sich Einzelstücke aus der Bibliothek des im Oktober 2008 verstorbenen Kaderphilosophen in den Ramschkisten Berliner Antiquare – darunter viele Widmungsexemplare westdeutscher Philosophen-Kollegen. Wer sie sammeln würde, könnte einen hübschen Katalog der Kollaborateure erstellen. Da hinein gehört auch Hans Jörg Sandkühler, der dem Zuarbeiter Mielkes seine bei Suhrkamp erschienene Schelling-Dissertation von 1968 dedizierte:  „Herrn Buhr mit einem sehr herzlichen Dank und Glückwunsch für diesen Kongreß“. Welchen Kongreß? Vermutlich eine der kommunistisch infiltrierten Veranstaltungen der Internationalen Hegel-Gesellschaft, deren Vize-Präsident Buhr war. Auch noch so ein Kapitel deutsch-deutscher Philosophiegeschichte, das seiner Aufklärung harrt.

Sandkühlers Widmung jedenfalls deutet auf den Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Tatsächlich profilierte sich der Schelling-Deuter bald nach seiner ausgerechnet von Joachim Ritter angestoßenen Doktorarbeit als einer der vielen „Marxisten-Leninisten“ und bundesdeutschen Claqueure der Pankower Diktatur. Derart politisch exzellent ausgewiesen und moralisch bestens gewappnet, wagt sich der nach 1989 inzwischen milde geläuterte Neomarxist Sandkühler, seit 1973 Professor an der „Reformuniversität“ Bremen, an die Edition von Aufsätzen zum Thema Philosophie und Nationalsozialismus.

Die Namen der durchweg linksliberalen Beiträger wie Emanuel Faye, Gereon Wolters, Lars Lambrecht oder Hans Friedrich Fulda garantieren hier für die in anderen Kontexten gern inkriminierte „Homogenität“. Insoweit unterscheidet sich der Band nicht von jenen Erzeugnissen, wie sie einst „Autorenkollektive“ unter Manfred Buhrs prüfendem Blick fabrizierten. Auffallend ist aber nicht nur die rückstandslose Abwesenheit abweichender Ansichten, sondern die Chuzpe, mit der hier Zweitverwertung betrieben wird. Wolters rüstet einen separat publizierten Bonner Vortrag (2004) nach, der von der Philosophiehistoriographie gerade für die NS-Zeit mehr „Moral“ einklagt. Sandkühler nimmt einen zweiten Anlauf, um über Joachim Ritter längst bekanntes Archivmaterial auszubreiten. Jens Thiel konzentriert einen alten Aufsatz über Ritter und andere Hamburger Dozenten nun auf Hermann Noack. Faye offeriert die imbezillen Thesen seines Heidegger-Buches (2005) zur angeblich „radikal rassistischen und exterminatorischen“ Philosophie des Seyns-Denkers in Kurzfassung. Lambrecht widmet sich der hinlänglich erhellten Beziehung zwischen Karl Jaspers und Hannah Arendt, zeigt dabei aber nicht nur in einer Anmerkung über Hermann Heideggers Interview in der „neofaschistischen Zeitung JUNGE FREIHEIT“ (JF 45/02), daß er sein Verslein gelernt hat.  

Die ideologische Mitte des Bandes stiftet nicht mehr Buhrs Marxismus-Leninismus, sondern, via „gemeinsames humanistisches Erbe“, der damit durchaus kompatible  „Menschenrechts-Universalismus“ der Unesco, in deren Auftrag der Emeritus Sandkühler heute noch in Bremen lehrt. Beglückt jubelt Wolters, daß nicht nur die Intellektuellen somit den „miefigen Partikular-Sumpf des Völkischen“ hinter sich gelassen hätten. Zumal das politische Integrationskonzept des „eigenständigen Volkes“ wegen seiner „brutalen Konsequenzen“ zwischen 1933 und 1945 ohnehin obsolet geworden sei. Einmal abgesehen davon, daß schon ein Blick über die deutschen Grenzen auf die europäischen Nationalstaaten solchen Kurzschluß vom Sein auf das Sollen verbietet, hat es die menschenrechtlich konditionierte Zivilgesellschaft bislang noch nicht eben herrlich weit gebracht. Man denke nur an die sich vertiefende Klassenspaltung im Namen der „Globalisierung“, das sich ausbreitende soziale Elend, die multikulturell initiierte Verslumung der Städte, die demographische und die Bildungskatastrophe oder den einzigartigen Massenmord im Mutterleib, der sich seit vierzig Jahren vollzieht. Wie sich der moralstolze Sandkühler da so sicher sein kann, die „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ als „Kontext des Philosophierens“ vor 1945 inzwischen weit hinter sich gelassen zu haben, will daher nicht so richtig einleuchten.

Hans Jörg Sandkühler (Hrsg.): Philosophie im Nationalsozialismus. Felix Meiner Verlag, Hamburg 2009, broschiert, 344 Seiten, 24,90 Euro

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