© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/09 04. Dezember 2009

Ein Strippenzieher tritt ab
Bundeswehr: Mit der Entlassung von Generalinspekteur Schneiderhan bekommt Verteidigungsminister Guttenberg freie Bahn
Paul Rosen

So schnell kann es in der Politik gehen. Am vergangenen Freitag, genau um 12.06 Uhr, meldete die Nachrichtenagentur dpa, Kanzlerin Angela Merkel habe „unverändert“ Vertrauen zu Arbeits- und Sozialminister Franz Josef Jung (CDU), der bis vor einem Monat Verteidigungsminister war und noch eine Informationspannen-Erblast wegen des von der Bundeswehr angeforderten Luftangriffs der amerikanischen Streitkräfte in Afghanistan mit sich herumschleppte. Etwa 90 Minuten später trat Jung zurück.

Damit fordert der Taliban-Kräften geltende Luftangriff vom 4. September inzwischen auch in Deutschland (politische) Opfer. Denn Jungs Nachfolger als Verteidigungsminister, Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), hatte bereits am Tag zuvor Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Verteidigungs-Staatssekretär Peter Wichert in den Ruhestand geschickt. Offenbar um eine Ausweitung der Affäre zu verhindern, die auch das Kanzleramt hätte erfassen können, mußte Jung gehen, ehe Merkel beschädigt werden konnte.

Der aus Hessen stammende Ex-Verteidigungsminister ist damit Inhaber eines traurigen Rekords, der ihm einen Platz in den politischen Geschichtsbüchern Deutschlands sichert: Nie war jemand kürzer im Amt des Arbeitsministers als Jung mit 31 Tagen.

Das dürfte eine der wenigen Spuren sein, die das politische Wirken von Jung hinterlassen wird. In der Verteidigungspolitik wurde der aus der hessischen Landespolitik kommende Jung in den vier Jahren seiner Amtszeit nie heimisch. Er wirkte immer unbeholfen bis ahnungslos. Die Fäden zog im Hintergrund Schneiderhan, der auch unter Verdacht stand, mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck Politik hinter dem Rücken des Ministers betrieben zu haben. Wie auch Wichert soll Schneiderhan dem Minister nur das zu lesen gegeben und gesagt haben, was Jung hören sollte. Der glaubte an die schöne Welt einer geordneten und schlagkräftigen Bundeswehr, die in Afghanistan Brunnen bohrt, Schulen baut, bei der einheimischen Bevölkerung beliebt ist und alles andere als einen Krieg führt.

Mit Jung ging die Bundeswehr in sinnlose Einsätze wie mit der Marine vor der libanesischen Küste, wo die Israelis vor den Augen der allerdings durch eine nicht vorhandene Aufklärung blinden Deutschen Waffenschmuggler fangen. Im Kongo sicherten Bundeswehr-Soldaten das Treiben eines mörderischen Diktators ab.

Nur weil bei beiden Terminen nichts passierte, kann man sie in die Kategorie der Operetten-Einsätze einstufen. Zwar schuf Jung ein Weißbuch der Bundeswehr, in dem deutsche Interessen benannt werden. Doch ist das Werk durch das mitredigierende Auswärtige Amt derart harmlos ausgefallen, daß Jung besser auf die Veröffentlichung verzichtet hätte.

Kenner des Verteidigungsministeriums und der Bundeswehr machen Schneiderhan für die Versäumnisse in den vergangenen Jahren verantwortlich. Der Generalinspekteur, der oberster militärischer Berater der Regierung ist, unternahm nichts gegen die Schieflage bei den Investitionen. So verfügt die Truppe nur über uralte Transporthubschrauber und Transportflugzeuge, die sehr störanfällig sind. Mehrere Unfälle beziehungsweise Einsätze mit tödlichem Ausgang hätte es nicht geben müssen, wenn die Bundeswehr ausreichend moderne Fahrzeuge wie den „Dingo“ oder das „GTK“ gehabt hätte.

Doch statt an den praktischen Bedarf für den Einsatz zu denken, setzte die Rüstungsplanung auf milliardenteure Prestigeprojekte. Das Kampfflugzeug Eurofighter braucht die Bundeswehr nicht oder wenigstens nicht in der noch aus dem Kalten Krieg stammenden Stückzahl von 180 Maschinen. Auch der milliardenschwere dem Rüstungskonzern EADS zugeschusterte Auftrag zum Bau neuer Transportflugzeuge vom Typ A 400 M war von vornherein sinnlos. Die Bundeswehr braucht zwar dringend Transportkapazitäten, aber EADS hatte noch nie Transportflugzeuge mit Propeller gebaut, so daß sich die Auslieferung jahrelang verzögern wird.

Schneiderhan hatte schon vor Jungs Antritt in der Bundeswehr mit verheerend wirkenden Strukturmaßnahmen für eine zurückgehende Einsatzbereitschaft gesorgt. Obwohl bereits die Ergebnisse der ersten Umstrukturierungen zeigten, daß neue Teilstreitkräfte wie die Streitkräftebasis oder der Sanitätsdienst bewährte Strukturen nicht ersetzen konnten und die immer kleiner werdende Bundeswehr von immer mehr Stäben und Befehlshabern kommandiert wird, sah Jung jahrelang zu – natürlich auch deshalb, weil er über die tatsächlichen Auswirkungen nicht informiert wurde. Er war als Verteidigungsminister weniger der Typ des Ignoranten, sondern erinnerte mehr an die tragische Figur des späten Ritters Don Quichotte. Erst Nachfolger Guttenberg wendete den Blick von den Don Quichottischen Windmühlen zu den Realitäten und setzte die Hauptverantwortlichen vor die Tür.

Guttenberg hat damit freie Bahn für Strukturmaßnahmen und eine andere Rüstungsplanung, die auf den Bedarf der Bundeswehr zugeschnitten ist. Merkel hingegen ist der Start in die zweite Legislaturperiode gründlich verhagelt worden. Am Kanzleramt haftet der Verdacht, die Ereignisse von Kundus und das frühe Wissen über zivile Opfer ebenfalls verschwiegen zu haben, um besser über die Bundestagswahlen zu kommen. Wenn Merkel (und auch CSU-Chef Horst Seehofer) die Absicht gehabt haben sollten, den jungen und beliebten Guttenberg auf den Schleudersitz des Verteidigungsministeriums zu schieben, um ihn bald loszuwerden, so müssen sie jetzt feststellen, daß die Bundesregierung noch wesentlich mehr Schleudersitze bereithält.

Fotos: Wolfgang Schneiderhan und Franz Josef Jung im vergangenen Jahr: Die Weichen falsch gestellt, Guttenberg

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen