© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/09 04. Dezember 2009

Mein liebster Feind
Opas Utopien: Als Vollzeitaktivistin ist Hanna Poddig das konsequent gute Gewissen des Systems
Florian Lux

Sie ist jung, hübsch, eloquent – und nimmt schon dadurch für sich ein: Hanna Poddig. Vollzeitaktivistin. Das heißt: Sie kämpft für „die gute Sache“. Und das rund um die Uhr, „hauptberuflich“. Wer sie auf YouTube sieht und reden hört, kann sich einer gewissen Sympathie nicht erwehren. Ein überdrehter Ökospinner sieht eigentlich anders aus.

Und doch: Die 24jährige Wahlberlinerin ist eine in der Wolle gefärbte „GutmenschIn“. Das an sich wäre natürlich kaum der Erwähnung wert, wenn diese junge Frau nicht zugleich ein tiefes Bedürfnis verkörperte, das symptomatisch ist für den geistigen Zustand vieler Post-68er. Poddig vereint alle pubertären Sehnsüchte der letzten drei Generationen, will das in den 1970er und 1980er Jahren neu propagierte Steinzeit- und Kuschelkommunismus-Denken radikal leben und kommt sich dabei kein bißchen albern oder gar „konservativ“ vor, wenn sie im veränderten Heute an Opas Lieblingsutopien festhält. Denn auch sie weiß, daß es „so nicht weitergehen kann“. Also wählt sie gewissermaßen den klassischen Weg, um eine Alternative vorzuleben, den mit dem gefühlt höchsten „Ich will anders sein“-Faktor in der westlichen Welt: „zurück zur Natur“.

Gemeinsam mit elf Gleichgesinnten lebt die Veganerin in einer Neuköllner WG. Von dort aus plant sie Demonstrationen, Sitzblockaden und entwirft Flugblätter. Nachts geht sie „containern“ bei den Discountern, deren Mülltonnen immer frisches Obst und Gemüse enthalten. Gekocht wird mit Ökostrom, statt Waschpulver gibt es Waschnüsse. Hin und wieder kettet sie sich an Gleisen an, um irgendeinen Transport von Atommüll oder Soldaten zu verhindern. Seit Jahren läßt sie keine Demonstration oder Kundgebung aus, auf der eine „bessere Welt“ gefordert wird.

Aber ist das „radikal mutig“? Denn so lautet der marketingwirksame Titel ihres Buches, in dem sie ihr Leben als Vollzeitaktivistin beschreibt und zugleich eine „Anleitung zum Anderssein“ sowie zum „Widerstand“ geben will: gegen Atomkraft, Tierhaltung, Gentechnik und Aufrüstung. Natürlich ist sie auch gegen „Ausbeutung“ jeder Art und für die „Gleichstellung“ aller Menschen – bezeichnet sich aber zugleich als „Naturfreund“. Doch meint sie wohl vielmehr das Gegenteil, denn nichts ist solchen Leuten befremdlicher als authentische Natur.

Nur wer die Ungerechtigkeit der Natur nicht ertragen kann, verlangt nach der dogmatischen Nivellierung aller und ist folglich eben kein „Naturfreund“, sondern deren radikaler Feind. Verwöhnte Wohlstandskinder, denen es nie an etwas mangelte, meinen oft, die ganze Welt müsse so funktionieren. Hanna Poddigs protesterprobte Eltern unterstützen das Einzelkind bis heute, finden „richtig und wichtig“, was ihre Tochter tut. Worin besteht also die „Gefahr“, das Risiko, das Abenteuer, das „Anderssein“?

 Diejenigen, die 1968ff. die Weltgesetze umstürzen wollten, regulieren diese heute nach ihren Prinzipien. Und Leute wie Hanna Poddig sind Teil jener Veränderung. Der Protestler von einst ist erwachsen geworden und hat perfekt gelernt, wie das geht, selbst „Ordnung“ zu sein. Wer jetzt noch aufbegehren will, muß schon ein Kind der erwachsen gewordenen Protestler von damals sein. Gegen die neuen Ordnungshüter gibt es nämlich kein Bestehen, nur mit ihnen. Das wissen alle. Der Protest muß „von oben“ abgesegnet sein, soll sich aber zugleich gegen „oben“ richten. Darin besteht die Kunst des Glaubens, etwas „ändern“ zu können.

Die Enkel des 68er-Lebensgefühls suchen nach dem „Anderen“, wollen aber in Wahrheit gar nicht anders sein als ihre Eltern und Großeltern. Sie haben die gleichen Ziele, weil es in ihrer von allem historischen Unrat gereinigten Welt keine anderen Ziele mehr gibt. Aber sie wollen, gleich allen lebenshungrigen Menschen, „bedeutend“ sein und etwas „bewegen“. Was bleibt ihnen also anderes übrig, als gute Schauspieler auf der Bühne der Realitäten zu werden? Tatsächlich hatte Poddig in Berlin eigentlich eine Artistenausbildung absolvieren wollen. Sei aber nicht ihres gewesen, zuwenig Kunst, zuviel Sport, verriet sie dem Berliner Tagesspiegel.

Den „Rebellen“ spielen, und zwar vor Publikum! Das liegt ihr offenbar schon mehr. Nur so tun, als sei sie „radikal anders“, aber die gültigen Spielregeln der Political Correctness dabei nicht verletzen! Denn natürlich verkörpert sie den Mainstream par excellence und weiß instinktiv wahrscheinlich genau: Wenn sie wirklich anders wäre, hätte sie in dieser Show keine Chance. Das zeichnet all die konform Nonkonformen aus, die uns immer wieder in den Leitmedien vorgestellt werden: daß sie es verstehen, sich publikumswirksam als „Querulanten“ in Szene zu setzen, ohne dabei von der vorgeschriebenen Linie abzuweichen. Sie verkaufen sich geschickt als Markenprodukt des gesellschaftlich gedeckten „Widerstands“, werden von der Öffentlichkeit gefeiert und erreichen so beides: das erhebende Gefühl, ein „Gegner der Verhältnisse“ zu sein, und von diesen Verhältnissen zugleich getragen zu werden.

Hanna Poddig ist das konsequent gute Gewissen des bestehenden Systems. Deshalb wird sie gemocht. Besonders eben von den Vertretern des Systems: Man lädt die junge Frau zu Talkshows ein, wo sie vorgezeigt wird wie ein ausgefallenes Gesellenstück. Nun sage noch einer, die heutige Jugend sei unpolitisch – es gibt doch Poddig, die inzwischen als Ikone der linksalternativen Szene mit hohen Kurswerten gehandelt wird.

Indem sie buchstäblich päpstlicher ist als der Papst, zeigt sie dem „Papst“, daß sie seine Botschaften ernster nimmt und radikaler befolgt als die meisten anderen. Dafür darf sie vom Konzil nicht gescholten werden, sondern nur ein wenig beiseite genommen wie in der Talkshow des Gutmenschenkardinals Giovanni di Lorenzo. Dort legte Poddig souverän ihre Sichtweise der Dinge dar. Sie betet nicht einfach nur die Reflexe herunter, wie man es sonst von den üblichen Wichtigtuern in solchen Sendungen kennt. Auch scheint sie weniger ressentimentgesteuert zu sein als die meisten Modelinken. Klar, ihre Feindbilder stehen so unumstößlich und zugleich vage im Raum wie die der radikalen Rechten: Was diesen die Ausländer, sind ihr die Atomkraftwerke und das Militär. Aber in ihr waltet der Eros radikaler Skepsis. Schade nur, daß dieser wertvollen Energie zumeist etwas zutiefst Vulgäres anhaftet, was ihre Träger viel zu oft die „nützlichen Idioten“ der jeweiligen Tendenz sein läßt.

Doch immerhin: Poddig behauptet, sie könne sich „in einer Parteiendemokratie nicht wiederfinden.“ Folglich wähle sie auch nicht. Nicht einmal die Linkesten unter den Linken, sondern allenfalls ungültig. Das überrascht. Also doch keines dieser vielen Antiglobalisierungsäffchen, die nur eine andere Spielart der bestehenden Kartelle abbilden?

Ein selbstbestimmtes, „freies“ Leben scheint sie indes aber auch nicht anzustreben. Schließlich sind Vollzeitaktivisten die unfreiesten Menschen überhaupt, denn sie stehen ganz und gar im Bann des jeweiligen Zeitgeists, der sie führt und dem sie „mit ihrem Leben“ dienen wollen. Es sind die zwanghaften „Weltverbesserer“ und „Menschheitsbefreier“, die in jedem Zeitalter nur die Ideologien oder Farben wechseln. Aber immer führen sie ihren Kreuzzug für die „gute Sache“ – in einer Republik der bequemen Lüge nicht anders als in den großen Weltanschauungsdiktaturen. Es sind die kleinen Teufel mit dem Herzen eines Engels und die Engel mit dem Herzen eines Teufels, die das eigentlich „Natürliche“, Leidenschaftliche und Irrationale am Menschen verkörpern, das die Gattung geistig so flexibel gemacht hat. Denn lägen „Glück“ und „Verhängnis“ nicht derart nah beieinander, daß man das eine vom anderen kaum zu unterscheiden wüßte, was hätte das aktive Leben dann noch für einen Reiz?

Aber wie enden solche Geschichten für gewöhnlich? Irgendwann wird auch Hanna Poddig versuchen, auf die andere Seite des Containers zu gelangen. Man macht ihr Angebote. Journalismus? Fernsehen? Rundfunk? Ihre richtige Gesinnung hat sie ja bewiesen. Damit sind die Türen offen. Vielleicht wolle sie selbst irgendwann eine eigene Talkshow leiten? Das Zeug dazu habe sie wohl. Und zu reden gebe es doch immer was, solange man unter sich bleibt.

Neukölln und die WG hat sie bald verlassen. Sie kennt die durchaus passablen Ecken in Kreuzberg, wo die anderen linken Spießer wohnen, die abends, beim Edel-Italiener um die Ecke, Sarrazin verbal richten und am Morgen ihre Kinder in die Privatschule fahren. Dort könne man hinziehen und sich trotzdem treu bleiben, hört man die Frau resümieren, ihr Rotweinglas erhebend. Und Opa, mit dem Che-Button am Revers seines Brioni-Feinkordsakkos, schwärmt in die Runde: Weißt du noch, damals, 2008, Heiligendamm, wie du den Zaun durchtrennen wolltest? Das war echt mutig.

Foto: Hanna Poddig in der Talkshow „3 nach 9“: In ihr waltet der Eros radikaler Skepsis

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen