© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/09 04. Dezember 2009

Frisch gepresst

Flucht über die Ostsee. Nach dem Mauerfall im November 1989 konnte auch die Ostsee wieder als normaler Verkehrsweg genutzt werden. Seit 1952 herrschte dort zwar schon ein verschärftes Grenzregime – doch die Flucht über See blieb eine absolute Ausnahme. Das änderte sich nach dem 13. August 1961: 5.636 Fluchtversuche sind bis Herbst 1989 dokumentiert. Doch nur 913 DDR-Bürgern gelang die Flucht, etwa 80 Prozent wurden gefaßt. Der letzte Tote wurde am 22. Mai 1989 an der DDR-Ostseeküste entdeckt – der 20jährige hatte noch seine Schwimmflossen an den Füßen. Und trotz Überwachung durch die Stasi mit einer eigenen Abteilung (6. Grenzbrigade Küste, GBK) und die DDR-Volksmarine unternahmen auch zahlreiche Militärangehörige Fluchtversuche. Ingo Pfeiffer, von 1972 bis 1990 Offizier bei der Volksmarine, hat den umfangreichen Stasi-Aktenbestand zu diesem weitgehend unbekannten Kapitel ausgewertet. Die erste Flucht gelang demnach drei GBK-Matrosen am 24. August 1961: Die hielten die zwölfköpfige Besatzung mit Waffengewalt in Schach und fuhren mit dem Küstenschutzboot G 423 nach Travemünde. Da bei diesem Husarenstück auch der Bundesgrenzschutz keine gute Figur machte – das DDR-Schiff gelangte mit voller Bewaffnung in den holsteinischen Hafen –, vereinbarten Bonn und Berlin „strengstes Stillschweigen“. Die Stasi-Abteilung XII verfolgte den Fall hingegen bis 1986 – die drei Fahnenflüchtigen konnten trotz umfangreicher Bemühungen nicht in die DDR zurückgebracht werden (Fahnenflucht zur See – Die Volksmarine im Visier des MfS. Kai Homilius Verlag, Werder 2009, broschiert, 200 Seiten, 19,90 Euro).

 

Propaganda. Die deutschen Kriegswochenschauen, so Hans Jürgen Syberberg, seien Adolf Hitlers „Gesamtkunstwerk“ im Geiste Richard Wagners gewesen. Zugearbeitet haben ihm dabei Heerscharen von Berichterstattern in den „Propagandakompanien“ der Wehrmacht und der Waffen-SS. Himmlers „Weltanschauungskrieger“ wurden seit 1940 zunächst zwar nur von wenigen Kameraden auf Zelluloid gebannt, doch während des Rußlandfeldzugs erreichten die Journalisten-Einheiten Regimentsstärke, ab Mitte 1943 firmierten sie als „SS-Standarte Kurt Eggers“. Die Geschichte dieses Verbandes, dem schreibende Prominenz wie Joachim Fernau ebenso angehörte wie eine erstaunliche Zahl angelsächsischer Intellektueller und europäischer „Kollaborateure“, legt nun Werner H. Krause vor, der auch auf die „alternative“ Rußlandpolitik ihres Kommandeurs Gunter d’Alquen eingeht. Die aktuelle Forschungsliteratur leider weitgehend ignorierend, schöpft er aus Archivquellen, hätte aber um der wissenschaftlichen Seriosität willen die mitunter ausufernden Zitate in jedem Einzelfall in einer Anmerkung belegen sollen (SS-Standarte „Kurt Eggers“. Die Propagandaeinheit der Waffen-SS im Zweiten Weltkrieg. Verlag Druffel&Vowinckel, Stegen 2009, 367 Seiten, Abbildungen, 28 Euro).

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