© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/09 04. Dezember 2009

Die Renaissance des Louis Spohr
Ein neues Standardwerk
Wiebke Dethlefs

Die seit einigen Jahren zumindest auf dem Plattenmarkt existierende Spohr-Renaissance hat in einer Buchpublikation zum 150. Todestag des Komponisten (JF 44/09) einen Gipfelpunkt erreicht. Denn nun liegt endlich eine umfassende Würdigung von Leben und Werk des um 1830 als größten lebenden Komponisten hochgeschätzten Meisters vor, der neben Niccolò Paganini zu den bedeutendsten Geigern seiner Zeit gehörte.

Durch den englischen Spohr-Spezialisten Clive Brown wurde 1984 erstmals (!) eine grundlegende Darstellung vorgelegt, die jetzt durch den rührigen Merseburger Verlag in einer hervorragenden Übersetzung (von Wolfram Boder) und Ausstattung herausgebracht wurde. Brown schuf ein Werk, das Spezialisten wie Laien gleichsam anzusprechen vermag. Man spürt überall die starke Liebe zu Spohrs Musik, die doch aufgrund ihrer oftmaligen Sprödigkeit bisweilen den Zugang erschwert. Doch hält er sich mit kritischen Urteilen über einzelne Werke nicht zurück, wie beispielsweise über op. 129 und op. 130 mit ihrer blassen Thematik und rhythmischen Monotonie. Lebendig schildert Brown das familiäre Umfeld Spohrs und das Konzertleben seiner Zeit, wodurch  ihm ganz nebenher ein farbenfrohes Panorama der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelingt.

Boders kongeniale Übersetzung vermag Browns Enthusiasmus noch zu verstärken, so daß man bei der Lektüre den stärksten Ansporn bekommt, so schnell wie möglich die vielen – übrigens mit zahlreichen Notenbeispielen erläuterten – Werke zu hören. Und darin unterscheidet sich das musikologisch gründlich recherchierte Buch von drögen, an Personen und Werk teilnahmslosen Darstellungen, wie sie beispielweise in der Reihe „Musik-Konzepte“ der Edition text+kritik vorliegen.

Nur geringe Kritik sei anzumerken: Man vermißt im Anhang eine Diskographie, und im Werkverzeichnis ist – warum auch immer – das op. 81 (Fantasie und Variationen für Klarinette und Orchester) vergessen worden. Das zweite Klarinettenkonzert steht außerdem in Es (nicht in E) und hat die Opuszahl 57 (nicht 56).

Der verhältnismäßig hohe Preis für eine Taschenbuchausgabe wird jedoch die innere und äußere Qualität des Werkes mehr als aufgehoben. Es ist ein Standardwerk, das Bestand haben wird: eine Biographie, die sich nahtlos zu Tadeusz Zielińskis großartiger Chopin-Monographie (1999) und zu R. Larry Todds ebenso meisterhaftem Mendelssohn-Buch (2008) reiht.

Clive Brown: Louis Spohr. Eine kritische Biographie. Verlag Merseburger Berlin, Kassel 2009, broschiert, 439 Seiten, Abbildungen, 49,90 Euro

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