© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/09 04. Dezember 2009

Ein kleines Fach ist auch die Umformtechnik
Die Verleihung des Deutschen Studienpreises 2009 gerät zur Generalkritik an der hiesigen Bologna-Reform, besonders den verfehlten Bachelor-Studiengängen
Christian Dorn

Vergangene Woche verlieh die Körber-Stiftung in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften den Deutschen Studienpreis 2009. Zu den Preisträgern der ersten Kategorie gehörte die Sozialwissenschaftlerin Berit Bliesemann de Guevara, die für ihre Arbeit „Potemkinsche Staaten – Ein Essay zur dringenden Entzauberung westlicher Statebuilding-Politik“ ausgezeichnet wurde.

Dabei konnte ihr Gegenstand Bosnien-Herzegowina, ein Paradebeispiel multinational organisierten „Statefailings“, auch als Metapher angesehen werden – erscheint doch die als „Bologna-Prozeß“ bekannte Reform des Hochschulwesens als eine nicht minder verfehlte Politik. Besonders deutlich wurde dies in der Podiumsdiskussion, die dem Akt der Preisverleihung vorgelagert war. Hier verwies der Germanist Peter Strohschneider von der Ludwig-Maximilians-Universität München auf die durch die Hochschulreform bedrohten „kleinen Fächer“  wie etwa Arabistisk, Judaistik, Klassische Archäologie. Diese seien von der durch „Bologna“ verursachten Strukturreform in ihrer Existenz bedroht, weil sie oft nur einen „Lehrkörper“ hätten – damit aber seien sie mit den neuen Kriterien nicht mehr kompatibel. Ironisch kommentierte Strohschneider: „So ein kleines Fach ist auch die Umformtechnik.“ Betroffen von den Bachelor-Vorgaben sind aber auch andere Fächer, so dürften fürderhin Keltologen und Astronomen nicht mehr miteinander kooperieren. Dies alles führe zu einem akzidentiellen Wegfall kleiner Fächer, die in der gegewärtigen Forschungspolitik leider „unterhalb der Wahrnehmungsschwelle“ lägen. Dabei, so Strohschneiders Einwand, habe erst jüngst eine Humboldt-Tagung in London festgestellt, daß gerade kleine Studienfächer ein besonders effizientes Studium ermöglichten. Sein Fazit: Der Bologna-Prozeß sei eine „Spar- und Kompressionsveranstaltung – das kann nicht funktionieren“.

Ähnlich vernichtend nahm sich die Bilanz seines Universitätskollegen Julian Nida-Rümelin aus. Der Philosoph und Kuratoriumsvorsitzende des Deutschen Studienpreises verwies darauf, daß es den „MBA, den wir hier in Deutschland zu reproduzieren vermeinen“, so in den USA gar nicht gebe. Dieser sei dort bildungs- und nicht berufsorientiert. Zudem entspreche das, „was in Deutschland gymnasiale Oberstufe gewesen ist“, dem französischen oder US-amerikanischen Bachelor-Ziel.

Geisteswissenschaftliche Fächerkultur beschädigt

Als geradezu katastrophal betrachtet Nida-Rümelin die Einführung der Bachelor-Studiengänge, die eine „massive Beschädigung der geisteswissenschaftlichen Fächerkultur“ nach sich gezogen habe. Denn zu dem klassischen Können geisteswissenschaftlicher Studiengänge habe die vertiefende Hausarbeit während der Ferien sowie der mündliche Vortrag gehört. Beides sei nach den neuen Studienordnungen nicht mehr möglich: die Hausarbeit nicht, weil die Zensuren bereits zum Ende der Vorlesungszeit vergeben werden müssen; der mündliche Vortrag nicht, weil dazu inzwischen die Anwesenheit von zwei Professoren nötig ist. Zudem sei heute die Habilitation zweiten Ranges angesagt. Deren kumulative Methode (eine Vielzahl kleinerer Schriften) habe mittlerweile die Form der Buchpublikation abgelöst. Erschwert werde diese Situation durch die oftmalige Verpflichtung zur Veröffentlichung in englischsprachigen Journalen. Nida-Rümelins Kommentar: „Was sollen dort romanistische Studien oder Hegel-Arbeiten?“

Überdies, so die Klage des Staatsministers a. D., dauere der Bachelor in den USA acht Semester, also zwei mehr als in Deutschland, wo die Zeit für das Studium einfach zu kurz sei. Zugleich warnte er jedoch, daß die „Humanities“ in den USA in einem beklagenswerten Zustand seien. Dieser sei gekennzeichnet durch „methodische Unschärfe, Geschwätzigkeit und ideologische Zurichtung“. Währenddessen, so Nida-Rümelins niederschmetterndes Resümee, sei kein einziges der drei Bologna-Ziele erreicht worden: Statt den Studierenden zu „mehr Mobilität“ zu verhelfen, sei durch die Verschulung eher das Gegenteil eingetreten. Auch das Ziel einer geringeren Abbrecherquote sei nicht erreicht worden, zumindest nicht mit Blick auf die Gesamtzahl der Studierenden. Auch das dritte Ziel, die Vereinheitlichung im europäischen Maßstab, sei bislang gescheitert. Als konkretes Beispiel zerregulierter Zeit nannte Nida-Rümelin die „Sitzscheine“ in den Geisteswissenschaften, die keinerlei Sinn ergäben: Die Studenten sollten in dieser Zeit eigentlich in der Bibliothek sitzen, wofür ihnen aber aufgrund der neuen Punktvergabe kaum noch Zeit bleibe. Ebensowenig Zeit bleibt indes der Forschung. So beklagte Sabine Kunst, Präsidentin der Universität Potsdam, daß sich die Betreuungsrelation bislang nicht in diese Richtung verbessert habe.

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