© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/09 11. Dezember 2009

„Kriegserklärung an Polizei und Rechtsstaat“
Linksextremismus: Nach den Angriffen auf Polizeiwachen und Regierungsgebäude ist eine Debatte über die Bekämpfung der linken Gewalt entbrannt
Christian Vollradt

Die neue Bundesfamilienministerin Kristina Köhler (CDU) hat anläßlich der jüngsten Übergriffe linker Gewalttäter bekräftigt, ihr Ressort werde künftig auch die Bekämpfung von Linksextremismus und Islamismus finanziell fördern. Im Koalitionsvertrag hatten Union und FDP vereinbart,  die bisher nur im Kampf gegen den Rechtsextremismus angewendeten Programme anzupassen. „Das werde ich umsetzen“, sagte Köhler der Welt am Sonntag.

In der Nacht zum Freitag vergangener Woche hatten Unbekannte in Hamburg und Berlin Gebäude und Fahrzeuge der Polizei attackiert. So zündeten zehn vermummte Personen im Hamburger Stadtteil St. Pauli zwei Funkstreifenwagen vor einem Polizeikommissariat an. Vor dem Dienstgebäude wurden außerdem mehrere Beamte mit Steinen beworfen. Mehrere Scheiben des Gebäudes wurden zerstört, verletzt wurde nach Polizeiangaben niemand. In einem Selbstbezichtigungsschreiben an die Redaktion der Hamburger Morgenpost wurde die Attacke als ein Racheakt für einen vor einem Jahr in Griechenland von einem Polizisten erschossenen Jugendlichen dargestellt, teilte die Zeitung mit. Im Zusammenhang mit dem Angriff auf die Wache im Hamburger Schanzenviertel sprach die Gewerkschaft der Polizei von „versuchten Tötungsdelikten“. Nach Einschätzung ihres Bundesvorsitzenden Konrad Freiberg werde die Polizei „als Symbol des Staates konzentriert angegriffen“. Darin offenbare sich eine neue Qualität, warnte Freiberg: „Es gibt eine größer werdende Zahl von jungen Linksextremisten, dies sind keine Einzeltaten.“

Auch auf ein Gebäude des Bundes­kriminalamts in Berlin-Treptow wurde in der Nacht zum Freitag ein Anschlag verübt. Unbekannte warfen drei Molotow-Cocktails sowie Pflastersteine und mit Farbe gefüllte Flaschen. Farbbeutel flogen auch auf das Kanzleramt und die Büros mehrerer Bundestagsabgeordneter. Auch hier übernahm der polizeiliche Staatsschutz die Ermittlungen. Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, nannte die Angriffe „eine offene Kriegserklärung an Polizei und Rechtsstaat“.

Für ihren Plan, den Kampf gegen alle Formen des politischen Extremismus‘ durch entsprechende Programme zu fördern, erhielt Köhler Zuspruch vor allem aus den Reihen der Union. Heftige Kritik kam dagegen von SPD, Grünen und Linkspartei. Deren Fraktionsvorstandsmitglied Petra Pau meinte, das „Aufsplitten“ der ohnehin geringen Mittel für den Kampf gegen Extremisten sei „kurzsichtig und ideologisch“. Grünen-Chefin Claudia Roth kritisierte, Köhler setze Rechtsextremismus, Linksextremismus und Islamismus gleich und verharmlose dadurch das Ausmaß rechtsextremer Gewalt. Ähnlich argumentierten auch die jugendpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Caren Marks, und der Sprecher der Arbeitsgruppe Rechtsextremismus, Sönke Rix. Die Pläne der Ministerin gäben „Anlaß zu größter Sorge“. Der Bund dürfe beim Kampf gegen Rechtsextremismus nicht nachlassen: „Es wäre fatal, die vom Rechtsextremismus ausgehende Gefahr zu verharmlosen und entsprechende Mittel zur Bekämpfung rechtsextremer Tendenzen zu kürzen“, so die beiden Abgeordneten.

In ihren Augen belege die gestiegene Zahl rechtsextremer Straftaten eine „steigende Gewaltbereitschaft von Neonazis“. Tatsächlich übertraf während der vergangenen Jahre die Zahl der Gewalttaten „von links“ diejenige der „von rechts“ motivierten (JF 17/08). Auf diesen Umstand wies auch der CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl hin. Er lobte Köhlers Plan und warf der Linkspartei vor, sie betreibe ein „massives Ablenkungsmanöver“. „Es vergeht keine Woche, in der die Linke im Bundestag nicht auf angebliche oder tatsächliche rechtsextreme Gewalttaten hinweist. Damit wird bewußt ein falsches Bild von der Wirklichkeit produziert“, sagte Uhl der Leipziger Volkszeitung.

Unterstützt wurde diese These vom Berliner Innensenator Körting (SPD). Der betonte, die linksextreme Gewalt müsse geächtet werden: „Das ist offensichtlich noch nicht Allgemeingut“, sagte er: „Auch ein Teil der Presse verniedlicht das, um es mal ganz deutlich zu sagen.“ Der Ausspruch des früheren SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher, Kommunisten seien  „rot lackierte Nazis“ treffe auch auf Teile der linksextremen Szene zu, meinte Körting während einer Debatte im Berliner Abgeordnetenhaus.

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