© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/09 11. Dezember 2009

Die dunklen Wolken bleiben
Tatortbesichtigung: Ein Jahr nach dem Messer-Attentat auf Passaus Polizeichef ist der Fall Mannichl weiter ungeklärt
Hinrich Rohbohm

Das Eis ist längst geschmolzen: jenes Eis, das den niederbayerischen Ort Fürstenzell vor einem Jahr fest in seinem Griff hatte und unter dem ein Geheimnis ruhte, das bis heute nicht gelüftet ist. Am 13. Dezember vorigen Jahres wurde der damalige Leiter der Passauer Polizeidirektion, Alois Mannichl, vor der Tür seines Hauses von einem bis heute unbekannten Täter niedergestochen.

Leichter Schneeregen fällt ein Jahr später aus den tiefgrauen Wolken, die sich über Fürstenzell gelegt haben. Wie ein dunkler Schleier scheinen sie noch immer verdecken zu wollen, was sich in der Ringstraße genau abgespielt hat. Die bedrückende Stimmung, die einst nach der Tat herrschte, ist gewichen. Keine Streifenwagen mehr, die am Tatort Patrouille  fahren. Keine Kripo-Beamten, die jeden weggeworfenen Zigarettenstummel analysieren.

Die Sonderkommission, die den Angriff auf den Passauer Polizeichef aufklären sollte, ist von 50 auf 10 Beamte reduziert worden. Dennoch: In dem 8.000 Einwohner zählenden Ort herrscht weiter Schweigen. „Das ist kein Thema mehr. Da spricht heute keiner mehr drüber“, sind die Standard-Aussagen der Einheimischen. Man meidet die Diskussion über das damalige Opfer, das für eine Wählergemeinschaft Mitglied im Gemeinderat des Ortes ist.

Praktisch über Nacht erlangte Fürstenzell überregionale Bekanntheit, als es an jenem 13. Dezember an der Haustür von Alois Mannichl klingelte. Der damals 52jährige öffnete. „Viele Grüße vom Nationalen Widerstand, du linkes Bullenschwein, du trampelst nimmer auf den Gräbern unserer Kameraden herum“, soll Mannichls Aussage zufolge ein etwa 1,90 Meter großer, kahlgeschorener Mann mit Schlangen-Tattoo am Hals ihm entgegengerufen haben, ehe er seinem Opfer ein Messer unterhalb des Rippenbogens ins Fleisch stach. Der zweifache Familienvater überlebte schwer verletzt.

Mannichl hatte sich in seiner Heimatregion gegen Rechtsextremismus eingesetzt. Am Volkstrauertag zum Gedenken  an die Kriegsgefallenen soll er sich auf eine Grabplatte gestellt und auf Gedenkgesteck herumgetrampelt sein, hatte der Passauer NPD-Kreisverband auf seiner Internetseite geschrieben.

Diese Vorgeschichte sowie die Täterbeschreibung durch Mannichl führten dazu, daß in Politik und Medien Rechtsextremismus als Tatmotiv schnell feststand – zu einem Zeitpunkt, als in der Politik darüber diskutiert wurde, ob die Fördermittel für den Kampf gegen Rechtsextremismus zurückgefahren werden sollen. Auch die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen liefen zunächst in diese Richtung. Von einer neuen Qualität rechtextremistischer Gewalt war die Rede, von verstärkten Maßnahmen, die gegen Rechtsextremismus und gegen die NPD eingeleitet werden müßten. Auch Täter waren innerhalb kürzester Zeit ermittelt: Leute aus der rechtsradikalen Szene. Doch die Beschuldigten haben ein Alibi, hatten nichts mit der Tat zu tun und mußten wieder laufen gelassen werden.

 Der vom Passauer Polizeichef beschriebene Täter bleibt unauffindbar – ein Mann, der durch sein markantes Aussehen in dem kleinen Ort etwa so auffällig gewesen sein müßte wie die lila Milka-Kuh. Dennoch fehlt von ihm jede Spur. Bei der Polizei werden erste Beamte stutzig. Ein Mann mit derartigem Erscheinungsbild müßte eigentlich im Fahndungscomputer zu finden sein. Ist er aber nicht. Dann soll die Tatwaffe auch noch aus dem Haushalt der Mannichls stammen. Sie soll auf dem Fenstersims gelegen haben, um Lebkuchen für Kinder abzuschneiden. Das sei zur Vorweihnachtszeit im Ort so Brauch, heißt es damals.

Ein Jahr später ist vor dem Haus der Mannichls in der Ringstraße nichts von Lebkuchen zu sehen, trotz Vorweihnachtszeit. Kein Messer auf der Fensterbank, keine Polizeistreifen sind unterwegs, keine Kripo-Beamten vor der Haustür postiert.

Wieder klingelt es bei Mannichl. Eine freundliche Frauenstimme meldet sich über die Gegensprechanlage. Der Besuch ist nicht angekündigt, Frau Mannichl hört nur den ihr völlig fremden Namen des Reporters. Keine weiteren Nachfragen, keine Skepsis, keine Furcht. Wie selbstverständlich wird die Tür geöffnet. Eine Frau um die fünfzig blickt heraus, schlank, blond gefärbte Haare, Brille. Freundliche Begrüßung, das Gespräch ist kurz. Ihr Mann sei noch nicht von der Arbeit zurück. Auf Fragen geht sie nicht ein, verweist freundlich, aber bestimmt auf ihren Mann. 

Alois Mannichl ist der einzige, der weiß, wie sich die Tat abgespielt hat. Gegenüber der JUNGEN FREIHEIT möchte er sich nicht zu dem Vorfall äußern: „Ich bin von der Arbeit erschöpft, haben Sie bitte Verständnis, daß ich dazu jetzt nichts sagen möchte.“ Der Mann, der sich aufgrund der Berichterstattung  über Widersprüche bei den Ermittlungen als Täter statt als Opfer fühlt und der nach wie vor die Auffassung vertritt, daß die Tat einen rechtsextremistischen Hintergrund habe, gibt sich müde.

In Fürstenzell gilt Mannichl als seriös und glaubwürdig. Eine ehemalige Mieterin von ihm  beschreibt ihn als „netten, sympathischen Menschen“. Die Messerattacke sei im Dorf kein Gesprächsthema mehr, antwortet sie. Nachbarn schätzen Mannichl als „ruhigen und korrekten Typen“, haben keine Zweifel an dessen Schilderung vom Tathergang, auch wenn sie bezweifeln, daß es sich dabei um einen rechtsextremistischen Hintergrund handelte.

Zumindest den vor Ort aktiven Neonazis traue man die Tat nicht zu, sagen Einheimische. Die Rechtsextremisten haben in Fürstenzell einen festen Treffpunkt: Traudels Café, mitten im Ortskern. Ein heruntergekommenes Haus mit verwildertem Garten, dessen Vorderfenster inzwischen mit Holzplatten verbarrikadiert sind und wo auf dem Klingelschild kein Name verzeichnet ist.

Alles sei ruhiger geworden, meint eine 17 Jahre alte Schülerin. Zu dem Fall Mannichl möchte auch sie nichts sagen. „Weil ich mit der Familie eng befreundet bin“, wie sie erzählt. Die Rechtsextremisten seien hier inzwischen „kaum noch aktiv“, wenngleich sie sich noch immer in Traudels Café treffen. „Hin und wieder brennt da mal Licht“, meint sie. 

Und während man sich in Fürstenzell weiter wortkarg gibt, werden bei den zuständigen Behörden neue Ermittlungspannen bekannt. Spuren seien nicht gesichert, die Kollegen im nahen Österreich nicht rechtzeitig informiert worden. Der dunkle Wolkenschleier über Fürstenzell, er bleibt.

Foto: Alois Mannichl nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus: „Netter, symphatischer Mensch“

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen