© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/09 11. Dezember 2009

Billig-Benz aus Alabama
Autoindustrie: Die Daimler-Entscheidung, die „C-Klasse“ in den USA zu produzieren, birgt vielerlei Risiken
Hans Christians

Auf Wiedersehen, Deutschland!“ Diese Überschrift zierte in den vergangenen Tagen zahlreiche Artikel nicht nur in Wirtschaftsblättern. Die Ankündigung des Autokonzerns Daimler, die Produktion der „C-Klasse“ ab 2014 erstmals zum Großteil vom schwäbischen Sindelfingen nach Alabama zu verlegen, hat einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Bei Belegschaft und Bevölkerung sowie auch in Wirtschaftskreisen wächst die Sorge, daß damit der Abschied vom Qualitätsmerkmal „Made in Germany“ begonnen hat.

Daimler-Personalvorstand Wilfried Porth begründete den Entschluß des Managements wie folgt: „Aus strategischer und wirtschaftlicher Sicht ist die Verlagerung der Produktion der neuen Generation der C-Klasse von Sindelfingen nach Bremen und in die USA unabdingbar.“ Daimler mindere damit den Einfluß des schwachen Dollar und profitiere von geringeren Kosten bei Personal, Einfuhrzoll und Auslieferung. Experten fürchten, daß der Vorstoß des einstigen deutschen Vorzeigeunternehmens Nachahmer finden konnte. Die angeführten Beweggründe gelten im Prinzip für alle anderen deutschen Autobauer.

„Ein immer größerer Teil der Autoproduktion wird in den kommenden Jahren ins Ausland verlagert werden“, sagte Autoanalyst Frank Schwope von der NordLB im Manager Magazin. „Für die Beschäftigten im Werk Sindelfingen ist dies eine zweifellos bittere Entscheidung. Aus Sicht des Unternehmens aber ist sie konsequent und absolut notwendig“, konstatierte Die Welt. „Kein Autobauer kann es sich angesichts des seit Jahren schwachen Dollar auf Dauer leisten, im teuren Europa für den amerikanischen Markt zu produzieren. Die Autos laufen dort vom Band, wo sie auch tatsächlich verkauft werden.“

Nur hinter vorgehaltener Hand tuscheln Autoexperten davon, daß nun die ersten Folgen der Abwrackprämie sichtbar würden. In diesem Jahr konnten die Automobilhersteller die Krise der Weltwirtschaft relativ unbeschadet überstehen, aufgrund der staatlichen Sonderprämie wurde der Verkauf von Neuwagen angekurbelt. Doch damit es jetzt vorbei, der deutsche Markt gilt als gesättigt, und die Produktion wird allenthalben heruntergefahren. Der Daimler-Vorstand argumentiert nun, daß mit dieser strategischen Entscheidung auch Arbeitsplätze gesichert würden.

Dies trifft in der Tat für die hochqualifizierten Entwickler zu. Für den Facharbeiter am Band sind die Aussichten dagegen katastrophal. Es gehört nicht viel Vorstellungskraft dazu, um vorherzusehen, daß weitere Autobauer ins Ausland ziehen werden – dorthin, wo es noch steigerungsfähige Absatzkapazitäten gibt wie in Asien oder Südamerika. VW beispielsweise verstärkt jetzt sein Engagement in Brasilien. Daß Daimler nun ausgerechnet über den „Großen Teich“ in die USA verlagert, liegt an der Entwicklung der Währungen, vor allem an der Schwäche des Dollar.

Etwa 20 Prozent ihres Wertes hat die US-Währung in den vergangenen zwölf Monaten im Vergleich zum Euro verloren. Seit Anfang November springt der Kurs immer wieder über 1,50 Dollar und nähert sich den historischen Höchstständen vom  Frühjahr 2008  an. Die Folge: Die durchschnittlichen Arbeitskosten pro Stunde liegen jenseits des Atlantik  inzwischen um ein Drittel unter dem deutschen Niveau.

Schwacher Dollar macht die USA zum Billiglohnland

Die USA werden zum Billiglohnland. Im Umkehrschluß heißt dies auch, daß der starke Euro dazu führt, daß Unternehmen die Landflucht antreten. Das Daimler-Modell könnte Schule machen, fürchten Experten. Sogar bei Mittelständlern wächst die Bereitschaft, das eigene (gelobte) Land zu verlassen. Doch was passiert, sollte sich das Währungsverhältnis wieder umkehren? Der Dollar bleibt schwach, solange die US-Fed ihre Zinsen nicht über jene anderer Notenbanken anhebt, sagen Experten.

Volker Treier, Chefvolkswirt des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, prophezeit: „Die Ungleichgewichte sind so stark, daß niemand eine schnelle Erholung des Dollar erwartet.“ An eine neuerliche Umkehrung der Verhältnisse glauben derzeit nur die größten Optimisten. Denn der niedrige Kurs bietet gemeinsam mit den nach der Krise niedrigen Unternehmensbewertungen in den USA günstige Einstiegsgelegenheiten. Im allgemeinen Trubel gibt es allerdings auch mahnende Stimmen.

Helmut Becker vom Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation kritisiert die Daimler-Entscheidung. Er sieht in einer Produktionsausdehnung grundsätzlich ökonomischen Nutzen. „Aber in diesem Fall handelt es sich ja um eine Verlagerung, heißt: In Deutschland wird abgebaut und in den USA aufgebaut – das ist ein unglückliches Zeichen. Deutschland und die Premium-Marken sind eng miteinander verzahnt“, warnt der frühere Chefvolkswirt von BMW. Becker wagt die Prognose: „Die ganzen C-Klasse-Kunden laufen Daimler jetzt weg.“ Oder drastisch formuliert: Ein in den USA produzierter Mercedes ist für den deutschen Premiumkunden nicht interessant. Dies scheint für die Daimler-Strategen uninteressant zu sein.

Foto: Mercedes-Benz, C-Modell: Laufen bald noch mehr Kunden weg?

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