© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/09 11. Dezember 2009

Im Schmelztiegel brodelt‘s
Die hartnäckige Legende vom friedfertigen Islam: Warum Gutmenschen sich selbst betrügen
Marcus Bauer

Islam bedeutet Unterwerfung. Ein freies Volk aber unterwirft sich nicht! So sehr das eidgenössische Votum ein ermutigendes Zeichen demokratisch-republikanischer Selbstbehauptung ist, so sehr ist es auch ein Armutszeugnis für die gegenwärtige europäische Diskurskultur, wenn die in weiten Teilen der Bevölkerung verbreiteten, islamdistanzierten Vorbehalte sich kaum anders denn aus den Tiefen der schweigenden Mehrheit und in der Anonymität der Wahlkabine artikulieren können.

Verinnerlicht zur zweiten Natur, läßt die verordnete Grundannahme der Unbedenklichkeit und Schönheit des Islam diesbezügliche Widerrede der Selbstzensur oder Maßregelung anheimfallen. Die andressierten Reflexe funktionieren zuverlässig und können wie auf Knopfdruck abgerufen werden: Man gebe in x-beliebiger Runde einen beiläufigen Hinweis auf islamische Gewalt, und es wird sich meist jemand finden, der mit streberhafter Attitüde über Kreuzzüge und Inquisition belehrt, mahnend die islamisch-arabische Kultur des Mittelalters dagegenhält, deren Aristoteles-Rezeption die „thumben Thoren“ des lateinischen Westens bereichert habe, das Multikulti-Paradies von Al-Andalus beschwört und in einer finalen erkenntnistheoretischen Zurechtweisung davor warnt, aufgrund von „Einzelfällen“ zu verallgemeinern.

Woher die uneinsichtige Verweigerungshaltung kommt, die rosarote Legende eines essentiell friedfertigen, toleranten, hochkulturellen Islam, der unseren tristen deutschen Alltag multikulturell pigmentiert, zur Disposition zu stellen, ist nicht wirklich zu begreifen. In der Quintessenz scheint es sich um die eingefleischte Furcht davor zu handeln, nicht um das Resümee herumzukommen, daß die eigene, okzidentale Ausdrucksform – weil freiheitlicher, weltoffener, auf- und abgeklärter – der orientalischen qualitativ vorgeordnet und mit dieser schlecht kompatibel ist.

Damit wäre dann auch der Unterschied zwischen christlich geprägtem Okzident und islamischem Orient keiner mehr, der sich auf rein rudimentäre Merkmale wie Phänotyp, Kleidung oder Küche reduzierte, die im multikulturellen Schmelztiegel bereichernd zusammenfließen, sondern eine tiefergreifende Verschiedenheit, die Gräben zieht, welche dem nivellierenden Zugriff der Migrationsexperten, Integrationspolitiker und Sozialarbeiter eines kryptosozialistischen Staates entzogen sind.

Zwar böte sich der Ausweg an, die Zulässigkeit universaler Maßstäbe, an denen sich ein Niveaugefälle als Ausdruck substantieller kultureller Verschiedenheit und veritabler Vergeschwisterungshindernisse gleichsam „objektiv“ festmachen läßt, kurzerhand in Abrede zu stellen, wie es Multikulturalisten, Antidiskriminierungsideologen und Gutmenschen auch immer wieder versuchen. Wer sagt schließlich, daß Werte der okzidentalen Humanitas wie Individualität, Freiheit und Vernunft sowie das Leitbild einer pluralen und offenen Gesellschaft global verbindlich sind?

Konsequent durchhalten läßt sich solch ein „werterelativistischer“ Ansatz aber nicht, ist doch gerade die eifernde Xeno- und Islamophilie Erscheinungsform einer emanzipationistisch-egalitären Doktrin mit globalem Geltungs- und Gestaltungsanspruch, die sich ihrerseits auf okzidentale Prinzipien wie Humanität und Aufklärung beruft.

Nach dieser Doktrin soll im „Dialog“ die Konvergenz der Kulturen hin zu einer entdifferenzierten, von Vorurteilen und geschichtlich-kultureller Verortung befreiten Menschheit vollzogen werden. Europäische Gutmenschen ergreifen die Initiative und wenden sich dem islamischen Milieu mit dem festen Vorsatz zu, dort keine dialogresistente Andersartigkeit und ansonsten nur Gutes und Edles finden zu dürfen.

Zum linken Kulturschock kommt es aber, wenn sich die Anzeichen häufen, es in dem umworbenen Fremdmilieu mit einer Kultur zu tun zu haben, die durch Desinteresse, sich auch ihrerseits selbsthinterfragend zu öffnen, sowie durch einen womöglich doch tiefersitzenden Hang zu Gewalttätigkeit, Kollektivismus und Bildungsfeindlichkeit an exakt jenem kulturellen Standard scheitert, den die xeno- und islamophilen Ambitionen als allgemein verbindlich voraussetzen.

So verfängt sich die Ideologie einer entdiskriminierten Welt aus ihren eigenen Voraussetzungen heraus in einer Aporie: Als Deutungsvariante okzidentaler Werte und Mentalität bleibt sie unauflösbar auf den eigenen kulturellen Entstehungsgrund verwiesen, von dem sie zu emanzipieren verspricht. Als unhinterfragbare, globale Arbeitsgrundlage für einen eurozentrischer Voreingenommenheiten enthobenen Konvergenzdialog etabliert sie mit sich selbst durch die Hintertür doch wieder ein okzidentales Motiv als universalen Maßstab.

An diesem westlichen Leitbild einer freien, offenen und aufgeklärten Gesellschaft gemessen, treten graduelle Niveauunterschiede der kulturellen Milieus hervor, die egalitären Erwartungen zuwiderlaufen. Hierdurch wiederum werden fundamentale zwischenkulturelle Unterschiede einsehbar, welche doch als bloße Vorurteile zu entlarven waren. Was also mit aller Gewalt weggedrückt werden sollte, scheint sich in einer Art von tragischer Ironie um so nachhaltiger bestätigt zu finden.

Einziger Ausweg aus diesem Zirkel ist die weitere Eskalation des Selbstbetrugs durch selektive Wahrnehmung und Zurechtbiegen dessen, was sich an empirischen Gegebenheiten nicht gänzlich verdrängen läßt. Daher die islamophile Zwanghaftigkeit und die unablässige Volksaufklärung darüber, daß Ehrenmorde und Zwangsheiraten mitten in Deutschland allesamt nur Einzelfälle sind, daß allein die Ausgrenzungsmentalität der Deutschen die Ursache gescheiterter Integration ist, daß ferner die Abschottungspolitik der EU islamische Länder davon abhält, sich zu öffnen, daß die Verhärtung der islamischen Kultur auf das durch die Kreuzzüge verursachte Trauma zurückgeht und die Geschichte der islamischen Expansion tatsächlich als eine Geschichte islamischer Toleranz zu lesen ist.

Und sollte ein dereinst vielleicht freieres Meinungsklima Erwägungen dahingehend zulassen, daß Islamismus und Islam doch fern miteinander verwandt sein könnten oder der Islam gar als Mitverursacher der ihn begleitenden Einzelfälle nicht mehr grundsätzlich auszuschließen ist, wird auch das an der rosa Islamlegende nicht kratzen. Denn der Islam hat ja nichts mit dem Islam zu tun.

Foto: Gläubige in der Merkez-Moschee im Duisburger Stadtteil Marxloh: Verordnete Grundannahme der Unbedenklichkeit und Schönheit

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