© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/09 11. Dezember 2009

Planet Girl: Freche Mädchen – freche Bücher
Supermänner waren gestern
Ellen Kositza

Daß die biologische Geschlechtszugehörigkeit eine überkommene Kategorie sei, behauptet die maßgebliche Forschung. Maßgebliche Eltern hingegen behaupten, daß ihre Töchter bei Verfügbarkeit der ganzen Palette Puppen bevorzugen, die Söhne das Baustellen-Equipment.

Die Konsumindustrie bedient beide Klischees: Genauso, wie Unisex-Parfums und geschlechtszuordnungsfreie Klamotten feilgeboten werden, läßt sich der Markt an geschlechtsspezifischen Accessoires nicht totkriegen. Der Junge mit Barbiewunsch und das Mädchen mit Boxhandschuhen: Theoretisch geht’s, praktisch sind es Randerscheinungen – wenn es nicht von „aufgeklärten“ Eltern entschieden befördert wird.

Klar ist: Die kühnen Mädchen, die keiner Prügelei aus dem Weg gingen, gab’s schon zu Kaisers Zeiten. Heute heißen sie tomboys und fahren Skateboard. Keiner empfindet, daß sie damit gesellschaftlich extrem aus der Reihe tanzen. Innerhalb ihrer Gleichaltrigengruppen werden sie weithin anerkannt.

Jungs mit Ballett­träumen oder dekorativen Interessen haben es schwerer. Ihr Bewegungsspielraum und die Angebotspalette in Sachen Gender ist vergleichsweise klein. Kein Junge empfindet es als Kompliment, wenn es heißt, „an dem ist ein Mädchen verlorengegangen“. Verwunderlich ist das nicht. Neue Forschungsergebnisse erweisen, daß Steinzeitfrauen mehr Muskelmasse hatten als heutige Männer. Von einem atavistischen männlichen Pflegebedürfnis ist hingegen keine Rede. „Zurück zu den Wurzeln“ – nicht die allerschlechteste Parole im sogenannten Geschlechterkampf.

Bei der Konstruktion von Rollenbildern kommt es auf Vorbilder und Überlieferung an. Die Vermittlung geschieht heute zuvörderst medial: „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ auf dem Bildschirm und die passende Lektüre auf dem Nachttisch.

Der traditionsreiche Thienemann-Verlag (der das Werk von Otfried Preußler und Michael Ende verlegt) hat nun einige seiner Mädchenbuchbestseller in einen neuen Verlag ausgegliedert. Der neue „Zielgruppenverlag“ nennt sich Planet Girl und startet mit einigen Neuerscheinungen („Supergirls – Mission Love“), die sich an „Mädchen und junge Frauen“ wenden. Also: Schluß mit der oktroyierten Genderei, ein Podium für die neue junge Weiblichkeit? Schön wär’s ja! Ideen wären zum Greifen nah! Zur Not sogar unter der gewählten Verlagsfarbe: Rosa, warum auch nicht.

Die interessierte Leserin erwartet jedoch Peinlichkeit pur. Zum einen wurde der Thienemann-Bestand der Reihe Freche Mädchen – Freche Bücher! komplett in den neuen Tochterverlag übernommen. Von dieser Serie sind bereits acht Millionen Exemplare (!) verkauft worden. Die Titel lauten (in unzähligen Variationen) „Der küssende Holländer“,  „SMS und Liebesstreß“, „Liebe macht blond“.

Beworben wird die gewiß ins Endlose zu verlängernde Pubertäts-Reihe mit Stimmen wie der von „Jenny, 12: Ich finde das neue Design einfach hamma.“ Oder „Selina, 13: Die Bücher sind einfach cool, frech, lässig …“

Radikale Feministinnen sprechen dann von einem backlash, wenn die öffentliche Stimmung kippt – und zwar entgegen den emanzipatorischen Zugewinnen der letzten hundert Jahre. Gemeint sind damit Sympathien für Eva Herman, aber auch für jene Feministinnen, die die Geschlechterdifferenz und das „Urweibliche“ kämpferisch betonen.

Die schwache Natur ist stärker als die Genderei 

Nichts gegen einen solchen backlash – aber bitte nicht so, wie ihn dieser Mädchenplanet vorstellt. Das nackte Grauen packt einen, wo Weibchenverhalten mit emanzipiertem Duktus verknüpft werden soll: „Supermänner waren gestern! Jetzt kommen die Super-Girls!“ So wird eine neue, „supertrendige“ Reihe angekündigt, deren erste Titel „Mission: Love“ und „Mission: Manga“ lauten. Protagonistinnen sind zwei miniberockte Weiblein, die „als Team das Unmögliche möglich machen“. Diese „Mission“ kann man sich denken: Mit cooler Girlpower Liebe streuen in das Herz des Angebeteten. Oder ähnlich.

Dann wäre da noch die Reihe mit dem selbstbewußten Titel „Ich bin ich“ – hier geht’s um die 120 Kilogramm schwere Paulina, die es nicht fassen kann, als Marcus zu ihr sagt: „Du hast die schönsten Augen, die ich je gesehen hab!“ Im Ernst: Da war Else Urys „Nesthäkchen“ progressiver.

Der Mädchenplanet wendet sich an Mädchen mit Macken, Zicken und Zärtlichkeitsbedürfnis, die ein Bezugspunkt eint: der Männerwelt zu gefallen. Positiv gesehen, aus konservativer Sicht: Nix war’s mit Gender. Die schwache Natur ist stärker – Millionen Leserinnen bestätigen es. Negativ betrachtet: Mädchen sind sich sogar in punkto Lektüre für nichts zu schade. Und dies in einem Maße, daß man glatt zur Feministin werden möchte.

Foto: Altes und Neues aus dem Thienemann-Verlag: Super-Girls auf Mission und blonde Liebe

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