© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/09-53/09 18./25. Dezember 2009

Kriminelle Familien-Bande
Ausländer: Seit Jahren treibt ein libanesischer Großclan in Bremen weitgehend unbehelligt von den Behörden sein Unwesen
Hinrich Rohbohm

Gelangweilt, fast provokant teilnahmslos verfolgen Halil und Ali M. das Geschehen im Gerichtssaal. Manchmal verleihen sie ihrem tatsächlichen oder gespielten Desinteresse durch ein langgezogenes Gähnen Ausdruck. 22 und 23 Jahre sind die beiden alt. Ihr Erscheinungsbild: breitschultrig, kahl geschorene Schädel. Vor dem Landgericht Bremen sind sie angeklagt, in der Nacht zum 1. Mai dieses Jahres vor einer Diskothek in der Bremer Innenstadt den ebenfalls 23 Jahre alten Arman Ghofrani F. derart heftig ins Gesicht getreten zu haben, daß das Opfer mehrere Brüche erlitt und auf dem rechten Auge erblindete.

Im Saal 231 sind die Zuschauerbänke voll besetzt. Gut 20 Interessierte sind gekommen, Kurden, Araber oder Türken, so genau weiß das wohl keiner im Raum. Der Andrang hat einen Grund. Halil und Ali M. sind Mitglieder des vor 20 Jahren aus dem Libanon nach Deutschland eingewanderten kurdischen Familienclans M., der die Wesermetropole seit mehreren Jahren terrorisiert.  Rund 1.400 Personen zählen laut Polizei zu der Großfamilie. Etwa 440 von ihnen sind als kriminell verdächtig in Erscheinung getreten. In den vergangenen sechs Monaten haben 150 männliche Mitglieder der Familie 250 Straftaten begangen. Sie reichen von Diebstahl über Raubüberfall und Körperverletzung bis hin zu versuchtem Totschlag.

Besonders in der Disco- und Türsteher-Szene ist der Name M. ein Begriff. „Mit denen würde ich mich lieber nicht anlegen, die haben überall ihre Leute sitzen“, raunen einem Bremer Partygänger auf Nachfrage zu. Andere äußern sich gegenüber der JF verärgert. „Jeder weiß doch, was hier abläuft. Und keiner tut etwas gegen diese Bande“, meint eine junge Pistengängerin. Besonders über Politik und Polizei herrscht Unmut. Weil der M.-Clan sich auch in Parlament und Behörden der Hansestadt längst eingenistet habe, munkeln nicht wenige Bremer.

Da war etwa der Fall um die Boutique „LeDi Fashion“, ein in der Nähe des Hauptbahnhofs und der Discothekenmeile gelegenes Modegeschäft. In der Nacht auf den 8. Juli dieses Jahres war es ausgeraubt worden. Die Täter hatten Braut-, Abend- und Kinderkleider mitgehen lassen, auch Colliers und Diademe waren dabei, Waren im Wert von knapp 10.000 Euro. Die um ihr Vermögen gebrachte Boutique-Besitzerin Diana B. (38) und ihr 50 Jahre alter Ehemann meldeten den Vorfall der Polizei. Weil die dem Fall laut Aussage des Ehepaars erst Tage später nachging, stellten sie selbst Ermittlungen an. Eine Frau, die sich gegenüber der Ladenbesitzerin verplappert hatte, brachte den entscheidenden Hinweis. Die Spur führte in den Stadtteil Walle: in einen türkisch-kurdischen Kulturverein.

Hier entdeckte Diana B. ihre Brautkleider wieder, in denen nun zahlreiche der weiblichen Hochzeitsgäste steckten. Die Geschäftsfrau machte Fotos von den Frauen, alarmierte die Polizei. Mit acht Streifenwagen rückten die Beamten an. Spürhunde waren dabei, mit denen sie die Halle des Kulturvereins betraten – um kurze Zeit später wieder abzurücken. Der Grund: Das Einsatzkommando hatte erkannt, um wen es sich bei den Feiernden und mutmaßlichen Tätern handelte. Es waren Angehörige des M.-Clans. Plötzlich wurden Beweise nicht mehr sichergestellt, die Personalien der Verdächtigen nicht aufgenommen. Die zuvor gemachten Fotos mußte Diana B. auf Anweisung der Beamten wieder löschen.

Adressen und Personalien des Ehepaars B. wurden dagegen sogar im Beisein der Verdächtigen notiert. Einer der Clan-Mitglieder drohte Diana B., sie zu erschießen und ihren Laden abzubrennen. Er schlug sie vor den Augen der nicht eingreifenden Polizeibeamten, die auch die Aufnahme einer Strafanzeige des Opfers ablehnten.

 In einer Pressemitteilung der Polizei, liest sich der Vorfall dagegen so: „Nach Gesprächen mit der geschädigten Geschäftsfrau, dem Einsatzleiter vor Ort und einer Vielzahl der eingesetzten BeamtInnen kann heute festgestellt werden, daß der polizeiliche Einsatz aus taktischer Sicht nicht zu beanstanden ist. Es standen sehr schnell eine Vielzahl von erfahrenen Einsatzkräften zur Verfügung, die erfolgreich alle Maßnahmen getroffen haben, um eine Eskalation der Ereignisse vor Ort zu verhindern und die weiteren Ermittlungen zu gewährleisten.“

Für Jan Timke ist der Vorfall ein „Skandal“. Der 38 Jahre alte Kriminalbeamte sitzt für die konservative Wählergemeinschaft „Bürger in Wut“ in der Bürgerschaft. Dort hatte er bereits im Oktober vorigen Jahres mit einer parlamentarischen Anfrage auf die kriminellen Machenschaften der Familie M. aufmerksam gemacht. Doch Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) sah offenbar keine Notwendigkeit zum Handeln. „Statt dessen scheint die Familie M. in Bremen Sonderrechte zu genießen“, vermutet Timke.

Nachdem die regionalen Medien den Vorfall um die „LeDi Fashion“-Boutique aufgriffen und nur zwei Monate später Mitglieder der Familie M. bei einem brutalen Überfall auf das im Steintorviertel befindliche Bistro „Phoenicia“ erneut  als Tatverdächtige genannt wurden, schwappte eine Welle der Empörung durch die gut 500.000 Einwohner zählende Hansestadt.

Politik und Behörden kündigten „null Toleranz“ für die Täter an, wollten noch in diesem Jahr zum großen Schlag gegen die kriminellen kurdisch-libanesischen Großfamilien ausholen. Doch der von Innensenator Ulrich Mäurer angekündigte heiße Herbst blieb aus, wurde nun auf Anfang nächsten Jahres verschoben. Eine Abschiebung der Straftäter in ihre Herkunftsländer ist jedoch nicht zu erwarten, wie der Senator auf Anfrage von Jan Timke mitteilte. Aufgrund ihrer türkischen Staatsangehörigkeit seien die Angehörigen der Familie M. „quasi EU-Bürger“, die wegen geltender europarechtlicher Regelungen praktisch nicht ausgewiesen werden könnten.

Und ob der derzeit in Haft befindliche Ali M. sowie dessen Bruder Halil tatsächlich lange Freiheitsstrafen absitzen müssen, weil das Opfer der Schläge das Augenlicht verlor, darf bezweifelt werden. „Ich kenne die beiden gut, die würden so etwas nie machen“, beteuert etwa der vergangene Woche im Prozeß als Zeuge geladene Servet B. Seine Aussage bei der Polizei hatte noch anders geklungen.

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