© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/09-53/09 18./25. Dezember 2009

Der einzig mögliche Mittelweg
Auch in seinem jüngsten Werk preist der Politologe Bassam Tibi sein Konzept eines Euro-Islam
Carlo Clemens

Der erfolgreiche niederländische Oppositionspolitiker Geert Wilders, der 2008 seinen Internet-Kurzfilm „Fitna“ („Versuchung“, „Zwietracht“) veröffentlichte und damit weltweit für muslimische Proteste und westliche Beschwichtigungen sorgte, bezeichnet den Koran als „faschistisches Buch“ und stellt ihn mit Hitlers „Mein Kampf“ gleich.

Schätzungsweise leben gegenwärtig etwa 23 Millionen Muslime in Europa, davon 4,4 Millionen in Deutschland. Die Hälfte hat bereits die deutsche Staatsangehörigkeit. In den nächsten Jahrzehnten werden die Zahlen rasant ansteigen. Angesichts dieser Dringlichkeit reicht es aber wohl nicht, den Islam reflexartig mit der Faschismuskeule diskreditieren zu wollen. Die Möglichkeit eines gemäßigten Islam wird jedoch nicht nur von berüchtigten Rechtspopulisten vehement bestritten. Auch der bekannte Orientalist Hans-Peter Raddatz konstatierte jüngst in einem Essay für die Zeitschrift Neue Ordnung (5/2009), der Islam sei ein „umfassendes politreligiöses Konzept“, welches „das Grundrecht der Religionsfreiheit politisch nutzt und in Konflikte mit den Grundrechten im Sinne des demokratischen Rechts- und Verfassungsstaats gerät“.

Der Zusammenprall zwischen westlicher Hemisphäre und islamischer Welt ist ein realer Konflikt – ein „Zivilisationskonflikt“, wie der emeritierte Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Göttingen, Bassam Tibi, kommentiert. Tibi kam 1962 als Marxist nach Deutschland und studierte in Frankfurt bei Adorno und Horkheimer. Mit 28 wurde er in Göttingen zum Professor berufen. Als Muslim und überzeugter Wahleuropäer habe er innere Einblicke in beide Welten. Im August erschien sein Buch „Euro-Islam – Die Lösung eines Zivilisationskonfliktes“. Gleich zu Beginn distanziert sich Tibi von Samuel Huntingtons These eines „Clash of Civilizations“. Auch wenn die deutsche Übersetzung „Kampf der Kulturen“ ohnehin keine korrekte Wiedergabe sei („Zusammenprall“ statt Kampf), sei eine solche Vorstellung „Bestandteil einer Polarisierung“. Tibi gibt sich dagegen als lösungsorientierter Pragmatiker. Seine Lösung für den westlich-islamischen Zivilisationskonflikt heißt Euro-Islam.

Wer bei diesem Buch fundierte aufklärender Ansätze und Neuinterpretationen des Koran vor dem Hintergrund des historischen Kontextes von Prophet und Koran erwartet, liegt falsch. Tibi will weder deutschen Kollegen wie Muhammad Sven Kalisch (Münster) noch der „Saarbrücker Schule“ um Karlheinz Ohlig, Gerd R. Puin und Christoph Luxenberg beipflichten, die sich der textkritischen Reflexion des Koran verschrieben haben. Das Buch, welches der letzte Streich des 65jährigen sein soll, stellt vielmehr eine jauchzende Huldigung des westlich-säkularen Eu-ropa dar, ein wahrlich verfassungspatriotisches Feuerwerk. Europa, das ist für Tibi das, was er als „kulturelle Moderne“ bezeichnet: säkularer Staat, individuelle Menschenrechte, demokratische Zivilgesellschaft, Pluralismus, Toleranz und Rechtsstaat. Diese Werte sind für ihn unantastbar.

Bedroht seien sie aber – und hierin besteht der Konflikt – durch die Tendenz der Islamisierung Europas. Darunter versteht der Göttinger Politikwissenschaftler beileibe nicht die Verdrängung beziehungsweise das Aussterben der angestammten europäischen Völker und Kulturen durch wachstumsstarke Einwanderer aus der islamischen Welt. Ausdrücklich sieht er darin gar kein Problem. Vielmehr gehe es um die säkulare Werteorientierung. Einen Mittelweg zwischen der Islamisierung Europas und der Europäisierung des Islams gebe es nicht. Die einzige friedliche Option, die bleibt, sei eine „kulturübergreifende Moralität“, ein Konsens. Ein von staatlicher wie von islamischer Seite gezielt geförderter Euro-Islam könne die Brücke für ein solches Unterfangen bilden. Muslime hätten keine „Selbstaufgabe“ durch Christianisierung und Assimilierung zu befürchten. Andererseits könne Europa seine Identität (nämlich die westliche) sowie seinen inneren Frieden bewahren. Als Beispiel führt Tibi das Prinzip der französischen Citoyenneté an: „Der Citoyen ist kein Christ und kein ‘stofflicher’ Bürger, sondern Teilhaber eines säkularen Gemeinwesens.“ Doch gerade im vielgerühmten Frankreich waren und sind die ethno-religiösen Krawalle und Auswüchse bisher am besorgniserregendsten. Tibi weist angesichts dessen zumindest darauf hin, daß die französische Diskussionskultur wesentlich offener ist als hierzulande. Kein Wunder auch, daß sein Euro-Islam-Konzept 1992 in Paris entstanden ist, während seine Werke vom deutschen Feuilleton weitestgehend unbeachtet blieben. Von Schäubles Islamkonferenz ist Tibi gar ausgeladen worden – angeblich aus Rücksicht auf die orthodoxen Vertreter.

Bassam Tibi, aus Syrien stammend, bestreitet die christliche Prägung Europas und will die Nationalstaatlichkeit der europäischen Staaten zugunsten eines westlichen Wertekonstrukts überwinden. Sein Ansatz ist plausibel, aber zutiefst unrealistisch. Die Schmähung des Euro-Islam-Konzepts als „Ein-Mann-Sekte“, wie es oft heißt, ist dennoch nicht fair. Tibis Feststellungen eines Zivilisationskonflikts sind richtig. Nur zeigen seine Lösungsvorschläge eine naive Verkennung der inneren Kräfte Europas.

Im säkularen Absolutismus finden Europäer nicht zu neuer Vitalität, weil er in seiner Konsequenz die Pflicht zur kulturellen und demographischen Selbsterhaltung nicht kennt. Angesichts der Realitäten unserer Parteien- und Mediendemokratie und der sich zuspitzenden gesellschaftlichen Realitäten geben die Götter „Demokratie“ und „Menschenrechte“ auch nicht mehr die makellose Figur von einst. Ernst Nolte sieht im Islamismus die dritte Widerstandsbewegung gegen die Moderne nach Nationalsozialismus und Bolschewismus. Für gläubige Muslime gibt es andere (vielleicht sogar attraktivere) Optionen als religiösen und kulturellen Relativismus. Doch welche Möglichkeit bleibt Europa?

Bassam Tibi: Euro-Islam – Die Lösung eines Zivilisationskonfliktes. Primus Verlag, Darmstadt 2009, gebunden, 203 Seiten, 24,90 Euro

Foto: Gebet von Moslems in einer Londoner Vorstadt: Kulturübergreifende Moralität als einzige Option

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