© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/09-53/09 18./25. Dezember 2009

Frisch gepresst

Werner Krauß. Allenfalls der große Heinrich George (1893–1946) wäre aufzubieten, um dem 1959 verstorbenen Mimen Werner Krauß einen weiteren Jahrhundertschauspieler zur Seite zu stellen. Krauß, Sohn eines fränkischen Postbeamten, in Breslau aufgewachsen, startete seine Laufbahn auf schlesischen Provinzbühnen, tingelte branchenüblich an allerlei „Schmieren“, bevor er vor dem Ersten Weltkrieg in Berlin unter Max Reinhardt reüssierte und sich als einer der wandlungsfähigsten Darsteller in Szene setzte. Filmrollen wie der unheimliche „Dr. Caligari“ mehrten seinen Ruhm in den „goldenen Zwanzigern“. Carl Zuckmayer zeigte sich überwältigt von der „suggestiven Gewalt“, mit der Krauß in der Premiere des „Hauptmann von Köpenick“ den Schuster Wilhelm Voigt gab, und Gerhart Hauptmann sprach bewundernd von der „großen Kunst“ des „Meisters Krauß“. Die minutiöse Biographie des Theaterwissenschaftlers Wolff A. Greinert (Werner Krauß. Schauspieler in seiner Zeit 1884–1959. Universitas Verlag, Wien 2009, gebunden, 399 Seiten, Abbildungen, 29,95 Euro) vergegenwärtigt zum 50. Todesjahr eine derartige Ausnahmeerscheinung, widmet natürlich auch der dämonischen Virtuosität, mit der Krauß alle jüdischen Nebenrollen in Veit Harlans „Jud Süß“ (1940) spielt, ein eigenes Kapitel und nennt am Rande den Preis, den das Genie für die Intensität seiner Kunst zu zahlen hatte: sein „Alkoholproblem“, zwei zerrüttete Ehen, die Selbstmorde beider Ehefrauen und des erstgeborenen Sohns.         

 

Entpolitisierung. Die Globalisierung führt zur Entmachtung der nationalen Parlamente –  diese Feststellung gerät schon beinahe zum politologischen Gähner. Nach genauerer Analyse haben deutsche Politikwissenschaftler den Spieß inzwischen sogar umgedreht und sprechen vom „Mythos“ der Entmachtung. Unter Verweis auf „Brüssel“ lasse sich nämlich so manche bittere sozialpolitische Pille dem Wahlvolk verordnen, die es allein aus der Hand seiner nationalen „Herrn“ nie schlucken würde. In Wahrheit habe also die Handlungsfähigkeit der nationalen Regierungen unter dem Schleier der „Internationalisierung“ eher zugenommen. An diesen Befund knüpft das Werk der Wiener Politologin Barbara Serloth zur rhetorisch gemeinten Frage „Entpolitisierung der Politik?“ an (Nationalstaatliche Demokratie zwischen Selbstentmachtung, Globalisierung und ungebrochener Lenkungsmacht. StudienVerlag, Wien 2009, broschiert, 164 Seiten, 22,90 Euro). Serloth, derzeit Leiterin der politischen Dokumentation in der SPÖ-Fraktion, wäre eine schlechte Sozialdemokratin, wenn sie ihre Leser am Ende nicht auf das Prinzip Hoffnung verwiese und sich zuversichtlich gäbe, daß eine erneute „Verpolitisierung“ gelingen und den eigentlichen Souverän wieder an der Macht teilhaben lassen könnte.

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