© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  01/10 01. Januar 2010

Richard David Precht. Der Jungstar der Populärphilosophie fordert ein neues Denken
Skepsis mit guter Laune
Harald Harzheim

Autoren, die eine populäre Darstellung der Philosophiegeschichte, eine allgemeinverständliche Einführung ins philosophische Denken schreiben können, müssen selbst keine originellen Köpfe sein. Das Talent liegt eher im Didaktischen, in der Vermittlung. Das reicht von Friedrich Paulsens „Einleitung in die Philosophie“ (1892) über Wilhelm Weischedels „Philosophische Hintertreppe“ (1973) und Jostein Gaarders „Sophies Welt“ (1991) bis hin zu „Wer bin ich und wenn ja wie viele?“ (2007) von Richard David Precht. Letzterer Titel stürmte die Bestsellerlisten und ist nach Gaarders Klassiker die erfolgreichste Popularisierung philosophischer Zunft.

Precht wurde 1964 in Solingen im Bergischen Land geboren und schrieb sich – als promovierter Philosoph – quer durch den Medien-Dschungel. 2000 erhielt er den Preis für Biomedizin. Diese Nähe zur Naturwissenschaft prägte auch „Wer bin ich und wenn ja wie viele?“. Dessen Präsentation philosophischer Fragen berücksichtigt vor allem biologische Forschungsansätze: Was sagen Neurobiologen und Verhaltensforscher zu Seele, Ich, Freiheit und Erkenntnistheorie? Dabei ist der Autor Philosoph genug, um auch deren Ergebnissen mit gebührender Skepsis und relativierenden Fragen zu begegnen. Eine interdisziplinäre Darstellung des Menschen, dessen Glück, laut Precht, im „Lernen und Genießen“ liegt: So kredenzt er dem Leser gutgelaunten Skeptizismus, ist kein Philosoph aus (innerer) Notwendigkeit. Da aber liegt das Problem. Wenn es um existentielle Fragen geht, um Glück, Leid und Lebenssinn, ist solch gute Laune zum Davonlaufen. Andererseits zeigt das exakt jene „Entertainer“-Qualifikation, ohne die man hierzulande kaum noch Erfolg haben kann.

Auch im nachfolgenden „Liebe. Ein unordentliches Gefühl“ (2009) zitiert Precht neuro- und evolutionsbiologische Ansätze, um dann eine Lanze zu brechen für die Nichtreduzierbarkeit des Phänomens Liebe.

Dank des frisch erworbenen Ruhms schickte ihn der Spiegel zuletzt in die Sloterdijk-Debatte (JF 45/09). Die ehemalige Leitfigur der intellektuellen Linken hatte Sozialabgaben mittels Besteuerung als Raub gebrandmarkt und eine Kultur des großzügigen Schenkens vorgeschlagen. Der Frankfurter Philosoph Axel Honneth verteidigte in einer polemischen Replik den Sozialstaat, schließlich mischte sich auch Precht ein. Der amüsierte sich über Sloterdijks „drollige Gleichsetzung von Einkommen und Leistung“ und erklärt die gesamte Debatte – „Freiheit oder Gleichheit“ – für historisch so überholt wie die zwischen Protestantismus und Katholizismus. Vielmehr sei der soziale Kitt durch Marktüberschwemmung und unzählige Informationsnetze überall am Bröckeln, nicht nur zwischen den anachronistischen „Klischees von Rechts und Links“. Ob Precht in der Lage ist, die Fundamente für solch ein Denken moderner Komplexität selbst zu legen? Es zu fordern, ist heute so wohlfeil wie allerdings auch überfällig.

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