© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  01/10 01. Januar 2010

Ein Sprengsatz für die EU
Griechenland: Die Währungsunion darf kein Haftungsverbund werden / Ausschluß oder Konkursverwaltung
Wilhelm Hankel

Europa verdankt den antiken Griechen die Grundlagen seiner Kultur. Nachdem es fünf Jahrhunderte lang unter osmanischer Herrschaft gestanden hatte, erinnern heute nur noch einige Ruinen aus dieser Zeit daran. Das moderne Griechenland konnte an diese Zeit nicht anknüpfen, außer mit dem Namen seiner Währung, der Drachme. 1981 wurde das Land mehr aus politisch-geostrategischen denn ökonomischen Erwägungen Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) – und einer der dauerhaften Nettoempfänger Brüsseler Strukturhilfen.

Anfang 1998 brachte Griechenland die Drachme in den Wechselkursmechanismus des Europäischen Währungssystems (EWS) ein; als dieses in die Europäische Währungsunion (EWU) überging, führte es 2002 den Euro ein. Zwei Jahre später stellte sich heraus, daß sich Athen die Mitgliedschaft im Euro-Club mit gefälschten Zahlen erschummelt hatte. Ernste Konsequenzen gab es keine. Dramatisch wurde es Anfang Dezember, als bekannt wurde, daß auf der Elf-Millionen-Republik Staatsschulden von 113 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts (BIP) lasteten. Das für 2010 eingeplante Haushaltsdefizit liegt wie schon in den letzten Jahren wieder bei über zwölf Prozent des BIP. In Brüssel schlugen die Alarmglocken: Plötzlich war von Staatsbankrott die Rede. Und die neuen Griechen? Wie bisher erwarten sie, daß Europa ihre seit jeher levantinische Mißwirtschaft finanziert.

Die Weltfinanzkrise hat die Lage nur noch verschlimmert

Trotz des beispiellosen Aufschwungs – dank des Vertrauensvorschusses ausländischer Geldgeber und Investoren – ließ Griechenland jede Disziplin in Sachen Staatshaushalt, Privatverschuldung und Preisstabilität vermissen. Die Weltfinanzkrise hat diese Lage nicht verursacht, sondern nur offengelegt und verschlimmert. Griechenland hat sich weder an sein einst den „Barbaren“ vermitteltes Vermächtnis gehalten: das Wahre mit dem Schönen und Guten zu verbinden, noch die bei Eintritt in den Euro-Club feierlich beschworenen Regeln eingehalten. Ob Staat, Privatwirtschaft oder Banken: Sie alle haben sich bis über die Halskrause verschuldet und das Vertrauen ihrer Gläubiger mißbraucht. Jetzt steht das Land vor dem kombinierten Bankrott von Staat, Wirtschaft und Banken. Griechische Euro-Anleihen sind nur noch mit einem Risikozuschlag von zwei Prozent, Kreditsicherungsderivate auf diese Anleihen sogar nur noch mit einem Aufgeld von sechs Prozent zu verkaufen.

Die EU und die für die Euro-Stabilität verantwortliche Europäische Zentralbank (EZB), deren Vizepräsident Lucas Papademos ein am Massachusetts Institute of Technology ausgebildeter Grieche ist, stellt das vor die unbequeme Frage: Wie sollen sie mit dem drohenden Bankrott eines Euro-Landes umgehen – ihn zulassen oder verhindern?

Ihn zuzulassen, hieße zwar dem in Lissabon erneuerten EU-Vertrag Glaubwürdigkeit verschaffen, aber den Bestand der Euro-Zone gefährden. Den Staatsbankrott zu verhindern, bedeutet wiederum, diese Glaubwürdigkeit zu unterminieren – und dafür auch noch viel Geld zu bezahlen! Keine leichte Entscheidung, zumal das Renommee des Erzlobbyisten in Sachen Euro auf dem Spiel steht: des luxemburgischen Premiers Jean-Claude Juncker, der sich als Vorsitzender der Euro-Gruppe in der EU (und Gegenspieler der EZB) ohne jede Not festgelegt hat: Ein Staatsbankrott Griechenlands sei „ausgeschlossen“, eine Schrumpfung der Euro-Zone komme nicht in Frage.

Warum nicht? Sie wird sich gar nicht vermeiden lassen. Denn außer Griechenland stehen mit dem „keltischen Tiger“ Irland sowie Portugal und Spanien (zusammengefaßt zur Gruppe der „PIGS“) weitere Euro-Länder vor derselben Situation und warten nur darauf, daß Griechenland als Präzedenzfall auch ihnen den Griff in die gemeinsame Portokasse ermöglicht. Doch eine „Sanierung“ à la Juncker ist nicht nur EU-vertragswidrig. Sie wäre der Experimentalbeweis dafür, wie recht jene Euro-Skeptiker der ersten Stunde und Kläger vor dem Bundesverfassungsgericht hatten, als sie die Einführung des Euro für ökonomisch wie politisch gleichermaßen unsinnig erklärten und als eine fatale Verwechslung von Dynamit mit Dynamik bezeichneten.

Den Euro als wertstabiles Geld erhalten

Denn es ist genau umgekehrt, wie Juncker meint: Die Auslösung Griechenlands (und der anderen „PIGS“) wäre das Ende der Gemeinschaftswährung. Wenn aus der Währungsunion eine Haftungsgenossenschaft zu Lasten der seriösen Euro-Länder würde, könnten selbst die EU-treuesten unter ihnen dieser auf Dauer nicht angehören. Der Ankauf von Hunderten von Milliarden an PIGS-Schrottanleihen durch die EZB (denn das wäre die Konsequenz der „Sanierung“) macht den Euro zur Weichwährung, untergräbt die politische Stabilität der Mitgliedsländer und sprengt letztlich die EU in die Luft!

Wenn Griechenland und andere notorische Defizitsünder nicht freiwillig aus dem Euro-Verbund austreten, müssen sie ausgeschlossen werden. Jede Zwischenlösung in Form einer „Konkursverwaltung durch die EU“ scheidet aus. Weder verfügt die EU dafür über das Personal, noch hätte dieses die Autorität (und demokratische Legitimität) für einen harten und unpopulären Sparkurs im Land. Es bleibt nur der Ausschluß. Nur so ist der Euro zu retten und ein Auseinanderbrechen der EU zu verhindern.

Der Ausschluß Griechenlands aus der Währungsunion gibt der EZB die Chance, Europa den Euro als wertstabiles Geld und würdigen D-Mark-Nachfolger zu erhalten. Als Alternative (und Konkurrenz) zum US-Dollar würde er auch wesentlich dazu beitragen, die finanzkrisengeschüttelte Weltwirtschaft wieder zu stabilisieren. Europas monetäre Trittbrettfahrer würden lernen, daß ihnen bei offener und die Partner brüskierender Verletzung der EU-Verträge harte Sanktionen drohen. Und sie wären von der Illusion geheilt, in der Gemeinschaftswährung ein Mittel zu sehen, anderen die Kosten für eigenes Fehlverhalten aufzubürden. Als ob „Europäisieren“ ein neues Wort für „Sozialisieren“ wäre!

Ob Griechenland oder andere Zu-früh-Mitglieder der Währungsunion: Sie würden mit nationaler Haushalts- und Währungsdisziplin die reale Grundlage für ein nachhaltiges (und nicht auf Sand gebautes) „Wirtschaftswunder“ ihrer Länder schaffen – wie einst Deutschland mit seiner D-Mark. Erst danach steht ihnen die Tür zur Währungsunion offen, nicht vorher.

 

Prof. Dr. Wilhelm Hankel war 1998 einer der vier Kläger gegen die Euro-Einführung vor dem Bundesverfassungsgericht. Er veröffentlichte 2008 das Buch „Die Euro-Lüge und andere volkswirtschaftliche Märchen“.

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