© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 01/10 01. Januar 2010 Frisch gepresst Intellektuelle. Friedrich Wilhelm Graf, der in München die Systematische Theologie vertritt, wäre vor 1968 als Groß-Ordinarius gescholten worden. Nachdem ihm der Weg an die Spitze des Berliner Wissenschaftskollegs verbaut wurde, verdient sich dieser Mann mit starkem wissenschaftspolitischen Ehrgeiz derzeit ein ansehnliches Zubrot als Begleiter von Bildungsreisenden, die auf Traumschiffen ein wenig abendländisch-christliche Kultur inhalieren möchten. Der auf vielen Baustellen tätige Theologe kann sich daher um manches nur noch im Vorbeihuschen kümmern. Doch die Zeit für die Herausgabe einiger Referate, 2004 gehalten in der Kaulbach-Villa des Historischen Kollegs in München, hätte er sich zumindest sparen sollen. Was er unter dem Titel Intellektuellen-Götter (Das religiöse Laboratorium der klassischen Moderne. Oldenbourg Verlag, München 2009, gebunden, 161 Seiten, 39,80 Euro) versammelt, ist nämlich nicht nur fünf Jahre alt, es bot auch schon 2004 kaum etwas, was Graf mit diversen Mannschaften und in zahllosen Projekten seit 1985 über die Entgötterung zur vorletzten Jahrhundertwende zutage gefördert hat. Man liest daher nur Bekanntes über Paul de Lagarde (diesen Aufsatz hat der Verfasser Ulrich Sieg 2007 mit einer Lagarde-Monographie selbst überholt, JF 18/08), Adolf von Harnack, die politische Streitkultur um 1900 oder den kirchlichen Antimodernismus. Identitäten. Psychologen, Soziologen, Philosophen und Historiker haben es inzwischen aufgegeben, den Allerweltsbegriff Identität exakt zu definieren. Zu flüchtig ist das Phänomen, um sich lexikalisch festnageln zu lassen was wiederum den Vorteil bietet, unter diesem weiten Dach vieles vereinen und mit einem modischen Etikett versehen zu können. So tut es der Michael Wolffsohn, dem Münchner Zeithistoriker, zum 60. Geburtstag 2007 gewidmete, daher nun ein wenig verspätet publizierte, von Thomas Brechenmacher (Potsdam) edierte Sammelband, der über Schlüsselthemen deutsch-jüdischer Geschichte und Gegenwart handelt (Identität und Erinnerung. Olzog-Verlag, München 2009, gebunden, 224 Seiten, 26,90 Euro). Ein Korsett ergibt sich aus der Vorgabe des Herausgebers, nach der Selbst- und Fremdwahrnehmung von Juden in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert zu fragen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Zeit zwischen 1870 und 1933 und dem Problem der gescheiterten deutsch-jüdischen Symbiose. Aber auch Identitätsangebote wie Walter Homolkas Konstrukt einer jüdischen Theologie für das 21. Jahrhundert fanden Aufnahme. Dazu allzu bekannte, geschichtspolitisch aufgeladene Betrachtungen von Julius H. Schoeps und Andreas Nachama über deutsch-jüdische Erinnerungskultur. |