© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/10 08. Januar 2010

„Neue Dimension der Kriminalität“
Innere Sicherheit: Angesichts des drastischen Anstiegs linksextremistischer Gewalttaten hat bei Behörden und Politikern ein Umdenken eingesetzt
Ekkehard Schultz

Im abgelaufenen Jahr wurden in weiten Teilen Deutschlands weit mehr Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund registriert als in den Vorjahren (siehe auch Seite 2). Deutschlandweit stieg die Zahl nach internen Zahlen des Bundeskriminalamts in den ersten drei Quartalen 2009 um knapp 40 Prozent.

Von dieser Entwicklung sind besonders Berlin und Hamburg betroffen. In der Hauptstadt wird von einer Verdoppelung der politisch motivierten Kriminalität von links gegenüber 2008 ausgegangen, wie Polizeipräsident Dieter Glietsch mitteilte. Die Zahl der Gewalttaten hat sich sogar vermutlich verdreifacht, was unter anderem auf die zahlreichen Brandanschläge auf Autos zurückzuführen ist. Insgesamt registrierte die Berliner Polizei nach vorläufigen Angaben 2009 680 Fälle von politisch motivierter Kriminalität von Linksextremisten, 165 davon wurden als Gewaltdelikte eingestuft.

Auch in Hamburg kam es 2009 zu einer massiven Ausweitung der linksextremen Gewalt. So wurden allein im dritten Quartal des vergangenen Jahres in der Elbemetropole 377 linke Delikte registriert. 2008 waren es 205 Straftaten. Angesichts dieser Zahlen sprach der Hamburger Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) von einer „neuen Dimension“, durch die ein „akuter Handlungsbedarf“ bestehe. Insbesondere im Hinblick auf die zunehmende Gewalt von Linksextremisten gegen Polizisten seien härtere Strafen dringend notwendig. Schon Attacken mit Steinen oder Feuerwerkskörpern sollten künftig als besonders schwere Fälle eingestuft werden. Der CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich sprach sich in der Rheinpfalz am Sonntag für ein „schnelleres Handeln“ aus, um der „neuen Dimension linksextremistischer Kriminalität“ entgegenzuwirken. Friedrich forderte, Gelder für Programme gegen Rechtsextremismus künftig auch zur Eindämmung linker Straftaten zu nutzen. Ähnlich hatte sich bereits Bundesfamilienministerin Kristina Köhler (CDU) geäußert und angekündigt, die Programme gegen den Rechtsextremismus künftig auch auf den Linksextremismus und den Islamismus auszuweiten.  

Widerstand kommt von SPD, Grünen und Linkspartei. So forderte der Sprecher der SPD-Arbeitsgruppe gegen Rechtsextremismus, Sönke Rix, die Programme gegen Rechtsextremismus nicht nur fortzusetzen, sondern die bisherige Fördersumme noch zu erhöhen. Schützenhilfe erhielten die Kritiker von dem Kölner Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge. In den Blättern für deutsche und internationale Politik behauptet Butterwegge, daß die Bundesregierung durch eine Förderung von Projekten gegen Linksextremismus „dem Kampf gegen Rechtsextremismus und Neofaschismus … entscheidende finanzielle Ressourcen“ entziehen und „seine Legitimation systematisch untergraben“ wolle. Erneut werde in der Bundesrepublik versucht, „alle geistig-politischen Kräfte im Kampf gegen den Kommunismus“ als „innenpolitische Waffe gegen die demokratische Linke“ zu „mobilisieren“.

Unterdessen zeichnet sich im Bundesinnenministerium ein Paradigmenwechsel ab. Offenbar plant Innenminister Thomas de Maiziére (CDU), die linksextremistische Szene intensiver zu beobachten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz wurde laut Focus beauftragt, bis Mitte Januar einen detaillierten Bericht über linksradikale Gruppierungen vorzulegen. In der Zentrale des Verfassungsschutzes habe sich der Wind total gedreht. „Linksradikale sind das Top-Thema, Islamisten sind nicht mehr der Hit“, zitiert das Magazin einen Terrorexperten. Unter die Lupe genommen werden sollen auch die Verbindungen zu politischen Gruppierungen, etwa zur Linkspartei.

Die Sicherheitsbehörden erwarten offenbar eine weitere Eskalation und befürchten Überfälle linker Terroristen „unter Verwendung von Brandmitteln“. Als mögliche Ziele gelten nicht zuletzt Polizisten.

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