© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/10 08. Januar 2010

Kummer an Deutschland
Nachruf: Freya von Moltke
Herdis Helgenberger

Die Besuche der alten Dame waren am Ende ihres beinahe hundertjährigen Lebens seltener geworden. Immerhin mußte die Wahlamerikanerin einen ganzen Ozean überqueren, um auf ihrem früheren Gut nach dem Rechten zu sehen. Ihrer Heimat im schlesischen Kreisau blieb Freya von Moltke bis zuletzt verpflichtet.

1911 als Tochter eines Kölner Bankiers geboren, fand sie in der freizügigen intellektuellen Atmosphäre des großbürgerlichen Elternhauses beste Entfaltungsbedingungen für ihren wachen Geist. 1935 schloß die junge Freya ihr juristisches Studium mit Promotion ab, da war sie bereits vier Jahre mit Helmuth James von Moltke verheiratet. Während ihr Gatte in Berlin als Anwalt in einer Kanzlei arbeitete, blieb Freya in Kreisau und führte die verwaltenden Geschäfte auf dem Familienlandsitz der Moltkes.

Auf die geistige und politische Verrohung in Deutschland, die unter den Nationalsozialisten einsetzte, reagierten Freya und Helmuth von Moltke mit teils offener, teils verdeckter Revolte. Dabei blieben die Waffen, die die von Moltkes im Kampf gegen das NS-Regime einsetzten, stets auf die intellektuelle Ebene, auf das Planerische beschränkt. 1942 und 1943 traf auf Einladung Freyas eine Schar Widerständiger zum Gesprächskreis zusammen, um gemeinsam im Schutz des idyllisch gelegenen Landguts Szenarien für einen demokratischen Zukunftsstaat zu entwerfen. Nach dem 20. Juli 1944 flog die Gruppe auf; Helmuth James Graf von Moltke wurde zum Tode verurteilt und am 23. Januar 1945 hingerichtet. Der sogenannte Kreisauer Kreis beschreibt bis heute ein eigenes Kapitel in der Geschichte des deutschen Widerstands, an dem Freya von Moltke, die die Treffen organisierte, maßgeblichen Anteil hatte. Das Andenken daran ist ihr wichtigstes Vermächtnis.

„Ich habe auch immer Kummer an Deutschland, aber trotzdem liebe ich doch Deutschland“, bekannte die kritische Demokratin einmal in einem Interview mit dieser Zeitung (JF 30-31/94); dennoch zog sie „menschheitliche Ideale“ allem Patriotischen vor. Freya von Moltke starb am Neujahrstag in Vermont, USA.

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