© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/10 08. Januar 2010

Auf den Mutterboden der Heilsgeschichte
Michael Hesemann geht dem Leben und Wirken Jesu Christi historisch und archäologisch auf die Spur
Mathias von Gersdorff

Mit „Jesus von Nazareth “ liefert Michael Hesemann, Historiker und Fachjournalist für kirchengeschichtliche Themen, ein weiteres Buch, in dem er anhand von archäologischen Recherchen der Wahrhaftigkeit der biblischen Berichte nachgeht. Hesemann gehört somit zu den Autoren, die mit Hilfe von Archäologie und Geschichte, also mit harten Fakten, die historisch-kritische Exegese widerlegen möchten. Er will beweisen, daß das, was in den Evangelien geschildert wird, sich tatsächlich so zugetragen hat und weder Märchen noch ein Produkt der Phantasie ist. In dieser Hinsicht erinnert „Jesus von Nazareth“ in vielen Zügen an Hesemanns 2008 erschienenes Buch „Paulus von Tarsus“ und an manch andere Autoren, die Bücher über die Stätten des Wirkens Jesu geschrieben haben. Es sei an Gerhard Krolls „Auf den Spuren Jesu“, Bargil Pixners „Mit Jesus durch Galiläa und das fünfte Evangelium“ und „Wege des Messias und Stätten der Urkirche“ sowie den leider etwas in Vergessenheit geratenen Louis Fillion erinnert.

Der Untertitel „Archäologen auf den Spuren des Erlösers“ ist aber etwas irreführend, denn es geht um mehr als die Beschreibung von archäologischen Entdeckungen. Der Autor greift tief in die Wühltruhe historischer Details, um die Welt Palästinas zur Zeit Jesu lebendig zu machen. Insofern ist das vorliegende Buch in weiten Strecken eher ein Geschichtsbuch als ein Bericht archäologischer Befunde. Doch auch das wäre eine Einengung. Wenn man die langen Schilderungen längst untergegangener Herrschaften und Völker liest, deren Namen selbst Historiker kaum kennen, fragt man sich unwillkürlich früher oder später, was die Lektüre dieser vielen Details eigentlich soll – was bringt sie?

Die Antwort liefert Hesemann selbst in der kurzen, aber sehr dichten Einleitung. Er schreibt, er wolle „einen kleinen Beitrag zum Verständnis des historischen Jesus von Nazareth und der Welt, in der er wirkte“ leisten. Um das zu bewerkstelligen, holt Hesemann eine Fülle an Daten aus der Versenkung hervor, die ein buntes und faszinierendes Bild der Zeit Jesu ergeben. Er will den Leser zurück in diese Zeit führen und sie ihm spürbar werden lassen.

In der fünften Station seiner Kreuzwegandacht schrieb der brasilianische katholische Publizist Plinio Correa de Oliveira folgende Sätze über Symon von Cyrene: „Wer war dieser Simon? Was weiß man von ihm schon mehr, als daß er aus Cyrene stammte? Und was wissen wir über Cyrene schon mehr, als daß es die Heimat dieses Simon war?“ Simon und Cyrene gingen in die Geschichte ein, weil sie in Verbindung mit Jesus Christus stehen. Laufend kommt einem die kurze Begegnung zwischen Symon von Cyrene und Jesus von Nazareth auf dem Kreuzweg nach Golgotha in den Sinn, wenn der Autor Ruinen, Steine, Ausgrabungen, Stoffetzen, Knochen usw. beschreibt.

Wenn er kleinste Begebenheiten in der Geschichte von Ortschaften wie Migdal, Chorazim, Kursi schildert, die die historische Echtheit der Evangelien beweisen, wird einem klar, daß es hier nicht bloß um Archäologie und Geschichte geht. In der Einleitung schreibt Hesemann: „Wer den Spuren folgt, die (Jesus) hinterlassen hat und die oft erst in den letzten Jahren und Jahrzehnten von Archäologen im Heiligen Land freigelegt wurden, für den kann kein Zweifel mehr bestehen: Unser Glaube beruht nicht auf schönen Legenden und frommen Phantasien. (...) Nein, er beruht auf historischen Ereignissen. (...) Wer Schicht für Schicht vordringt bis auf den Mutterboden der Heilsgeschichte, der wird ihn finden, den historischen Jesus von Nazareth. Deshalb habe ich mich auf die Suche nach ihm gemacht.“

Das Buch ist in der Tat ansatzweise wie ein Reisebericht geschrieben. Es beginnt mit dem Aufbruch zum Gottesdienst von Papst Benedikt XVI. in Nazareth am 14. Mai 2009. Hesemann widmet sein Buch diesem Papst, „der uns nach Nazareth zurückführte“. Die Bedeutung fast aller beschriebenen Orte und Gegenstände liegt darin, daß sie mit Jesus von Nazareth in Verbindung standen. Wenn man Jesus wegabstrahiert, sind alle diese Orte und Gegenstände nichts anderes als alte Steine, Scherben und unkenntliche Ruinen, die dann wirklich nur noch für Archäologen interessant sind.

Auf der anderen Seite machen diese Orte und Gegenstände den Menschen Jesus von Nazareth konkreter, greifbarer, anschaulicher. Wenn wir die Welt, das heißt die Kultur, die Mentalität, die Architektur, die Wirtschaftsweise, die Politik usw. der Zeit Jesu klarer vor Augen haben, werden die Schilderungen der Evangelien und auch die Worte und die Person Jesu konkreter und verständlicher.

Der Leser dieser Art Bücher wird Fußnoten vermissen. Diese wurden aufgrund der Länge und zugunsten der Lesbarkeit weggelassen. Im Fließtext wird auf die neueren Forschungsergebnisse hingewiesen, was aber nicht genaue Quellenangaben ersetzt. Ebenso beinhaltet das Buch keinen Orts- und Namensregister. Es wäre erfreulich, wenn zumindest ein solcher in einer zweiten Auflage hinzugefügt wird.

Abgesehen davon ist das Buch sehr empfehlenswert. Wohlwissend, daß manche langen Schilderungen von Kleinigkeiten nun mal trocken sind, lockert der Autor den Stil auf, indem er aus einer persönlichen Perspektive schreibt, und schildert nicht geplante Begebenheiten seiner Reise durch Palästina – unter anderem, wie man ihm gleich am Anfang alles aus dem Wagen gestohlen hat, inklusive Reisepapiere, Notebook und ähnliches. Hesemann interpretierte das als ein Zeichen des Himmels: „Wer Jesus von Nazareth nachfolgen, wer seine Spuren suchen will, der muß zunächst einmal alles hinter sich lassen, sich frei machen und für das Neue öffnen.“ So weit muß man nicht gehen, um mit der Lektüre dieses Buch „auf Reise“ zu gehen und Genuß dabei zu empfinden. Doch eines sollte man wissen: Wer sich auf die Suche nach den Spuren des Jesus von Nazareth begibt, und sei es bloß durch die Lektüre eines Buches, wird am Ende nicht der gleiche sein wie am Anfang.

Michael Hesemann: Jesus von Nazareth. Archäologen auf den Spuren des Erlösers. Sankt Ulrich Verlag, Augsburg 2009, gebunden, 304 Seiten, Abbildungen, 22 Euro

Foto: Papst Benedikt XVI. am leeren Grab Christi: „Unser Glaube beruht nicht auf schönen Legenden und frommen Phantasien. (...) Nein, er beruht auf historischen Ereignissen“

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen