© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/10 15. Januar 2010

„Mißliebige zu Extremisten stempeln“
Der Kirchenrechtler Axel von Campenhausen kritisiert die „Kirchenzucht“ als neues Mittel im „Kampf gegen Rechts“
Moritz Schwarz

Herr Professor von Campenhausen, in einem Interview mit der von der Wochenzeitung „Die Zeit“ ins Leben gerufenen Online-Plattform netz-gegen-nazis.de nennt der EKD-Pressesprecher Reinhard Mawick die „Kirchenzucht“ als neues Mittel im Kampf gegen „rechtsextreme und menschenfeindliche Einstellungen in Deutschland“. Sie waren von 1969 bis 2008 Direktor des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD. Was hat man unter „Kirchenzucht“ zu verstehen?

Campenhausen: In Matthäus 18 weist Jesus die Jünger an, im Fall des Falles einander zu ermahnen – erst untereinander, dann in der Gemeinde. Wer auch auf die Gemeinde nicht hört, der soll ausgeschlossen werden. Die Kirchenzucht dient also der Einhaltung der Regeln.

Ist die Kirchenzucht ein geeignetes Mittel gegen Kirchenmitglieder, die privat Kontakt zu tatsächlich oder vermeintlich extremistischen Einrichtungen haben?

Campenhausen: In der Evangelischen Kirche heute ist Kirchenzucht nicht üblich. Die Kirche im Rheinland etwa hat sie 1996 ganz aus ihrer Kirchenordnung gestrichen. Mir ist die Idee, sie in politischen Fällen anzuwenden, unangenehm, denn die Kirche hat solche Fälle nicht zu ahnden.

Warum nicht?

Campenhausen: Kirchenzucht betrifft kirchliche Verfehlungen, die politische Gesinnung ist aber kein kirchlicher Gegenstand. Die Qualifizierung und Verfolgung politischer Extremisten ist Aufgabe staatlicher Organe, die unter demokratischer Kontrolle stehen, damit Menschen nicht der Versuchung erliegen, denjenigen, den sie nicht mögen, zum „Extremisten“ zu stempeln. Deshalb kann laut Grundgesetz auch nur das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe über die Verfassungsfeindlichkeit von Parteien befinden.

Ist der Fall Matthies ein Fall für die Kirchenzucht?

Campenhausen: Das ist genau das, was ich meine. Natürlich nicht! Die Angriffe gegen Herrn Matthies sind empörend. Hier trifft zu, daß der Extremismus-Vorwurf mißbraucht und zur modernen Form gesellschaftlicher Denunziation wird, die rein persönlich ist. Es ist ganz ähnlich wie im Fall der Vertriebenen-Präsidentin Erika Steinbach.

Inwiefern?

Campenhausen: Man versucht, was einem politisch unwillkommen ist, in eine „rechtsextreme“ Ecke zu drängen.

Das Prinzip Faschismuskeule?

Campenhausen: Ein Erbstück der DDR, das bei uns leider immer noch in Gebrauch ist. Im Fall Steinbach ist das besonders fadenscheinig. Ihr wird vorgeworfen, sie habe 1991 nicht dem deutsch-polnischen Grenzvertrag zugestimmt. Unterschlagen wird, daß dies eine legitime, demokratisch einwandfreie Entscheidung war, die zudem 18 ihrer Kollegen, darunter der heutige Bundesminister Peter Ramsauer, geteilt haben. Das Legitime wird einfach lautstark zum „Unerträglichen“ erklärt. So ist es auch bei Matthies. Sieht man sich die anderen Gerhard-Löwenthal-Ehrenpreisträger an, etwa Wolf Jobst Siedler, Elisabeth Noelle-Neumann oder Peter Scholl-Latour, dann wird diese groteske Verunglimpfung plötzlich deutlich sichtbar.

 

Prof. Dr. Axel v. Campenhausen, der Kirchenrechtler, Jahrgang 1934, war bis 2006 Mitherausgeber des Rheinischen Merkur.

 

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