© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/10 22. Januar 2010

Trotz Sozialhilfe mit dem Leben zufrieden
Integration: Eine Studie über die Wirkung staatlicher Leistungen zeigt deutliche Unterschiede zwischen verschiedenen Einwanderergruppen
Fabian Schmidt-Ahmad

Wenn ein Produkt offenkundig von mäßiger Qualität ist, kann man versuchen, die  Nachteile in Vorzüge umzudeuten. Wenn dies nur oft genug wiederholt wird, fallen manche Kunden vielleicht tatsächlich auf diesen Trick herein. An diese Strategie wird man unwillkürlich erinnert angesichts der Jubelarien, mit denen die im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums erstellte Studie über die Wirkungen des Sozialgesetzbuchs II auf Einwanderer bedacht wird.

Die Untersuchung „räumt mit vielen Vorurteilen auf“, heißt es beispielsweise beim Migazin, einer Internetplattform zum Thema Einwanderer: „Migranten sind besser qualifiziert als gedacht und weisen eine hohe Erwerbsmotivation auf.“ Gleiches behauptet die Internet­seite der streng-islamischen Gemeinschaft Milli Görüs. So sei laut Studie die höhere Arbeitslosigkeit „kein migrantenspezifisches Problem“, sondern „habe oftmals andere Ursachen“. Welche das sind, erfährt man freilich nicht.

Überhaupt darf bezweifelt werden, daß die Studie von den verschiedenen Lobby-Vertretern ernsthaft ausgewertet wurde. Denn obwohl die Wissenschaftler, die an der über zwei Jahre dauernden Untersuchung beteiligt waren, sich mit ihren Formulierungen zurückgehalten haben, stellt die Untersuchung einigen Einwanderergruppe geradezu ein Armutszeugnis aus: Etwa 28 Prozent aller Sozialhilfeempfänger in Deutschland kommen aus Einwandererfamilien. Rechnet man die neuen Bundesländer heraus, kommen die Autoren auf einen Anteil von bis zu 39 Prozent.

Freuen konnten sich die Einwanderer über die Einführung von Hartz IV. Da sie zuvor häufiger Sozialhilfe und kein Arbeitslosengeld bezogen, konnten sie „ihr Haushaltseinkommen um durchschnittlich 50 Euro monatlich steigern, während entsprechende Haushalte ohne Migrationshintergrund im Durchschnitt 14 Euro verloren haben“. Auch sonst sind Einwanderer mit Transferleistungen im Gegensatz zu deutschen Sozialhilfeempfängern „mit ihrem Leben insgesamt zufriedener“ und erweisen eine höhere Akzeptanz, von „Stütze“ zu leben.

Dies erklären die Autoren mit „stärkerem Rückhalt in der Familie und in sozialen Netzwerken“. Denn während der Deutsche, der die Hilfe der Allgemeinheit in Anspruch nimmt, in der Regel ein alleinstehender Mann ist, leben Einwanderer „häufiger in größeren Haushalten mit Kindern“. Dieser Unterschied trete bei der türkischen Herkunftsgruppe besonders deutlich hervor. Darüber hinaus sind Einwanderer im Durchschnitt wesentlich jünger als Deutsche. Ungefähr die Hälfte dieser Sozialhilfeempfänger besitzt mangelnde Deutschkenntnisse.

Die dominanten Gruppen der Einwanderer sind Osteuropäer und Türken. Während erstere eher kurzfristig und vor allem in der ersten Einwanderergeneration Sozialhilfe bezieht, ist dieses bei letzterer wesentlich länger der Fall. Auch an anderer Stelle werden Unterschiede deutlich. Haben 45 Prozent der Osteuropäer das Problem, daß ihr Berufsabschluß in Deutschland nicht anerkannt wird (während es bei weiteren 20 Prozent der Fall ist), so sind Türken davon praktisch nicht betroffen. Denn fast 75 Prozent von ihnen besitzen gar keinen berufsqualifizierenden Abschluß.

Wenn daher Einwanderer sowohl eine höhere Erwerbsmotivation als auch einen höheren Bildungsgrad aufweisen, als es ihre momentane Situation vermuten ließe, so gilt dies fast ausschließlich für Osteuropäer. Türken fallen dagegen durch Unzufriedenheit auf. Sie gaben in Umfragen am häufigsten an, von „Problemen als Ausländer/in bzw. Migrant/in in Deutschland“ betroffen zu sein. Während Einwanderer insgesamt ein eher positives Bild von deutschen Sozialämtern besitzen, „bewerten wiederum Personen türkischer Herkunft – und hier insbesondere türkische Männer – die Grundsicherungsstellen relativ am kritischsten“.

Interessant ist auch die Rolle der Religion. Während bei Deutschen und Spätaussiedlern eine starke Religiosität die Wahrscheinlichkeit erhöht, wieder eine Arbeit zu finden, verhält es sich bei Einwanderern genau umgekehrt. Überdurchschnittlich häufig gaben sie an, „daß die Befolgung religiöser Gebote auch in der Arbeit für sie wichtig ist“. Auch dies betrifft viele Türken: „Immerhin 15 Prozent der hilfebedürftigen Frauen mit türkischem Migrationshintergrund gibt an, auf eine aus religiösen Gründen getragene besondere Kleidung auch dann nicht verzichten zu wollen, wenn ‘neutrale’ Kleidung Voraussetzung für die Arbeitsaufnahme wäre.“

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Studie tatsächlich „mit vielen Vorurteilen aufräumt“ – insbesondere mit der Lieblingsphrase gerade türkischer Interessenvertreter, daß Integrationsdefizite ihrer Landsleute nur ein Schichtproblem darstelle, womit die Verantwortlichkeit bei den Deutschen liege. Es liegt mehr als nur ein begründeter Verdacht vor, daß die mangelnde Integrationsleistung bestimmter Einwanderergruppen vor allem auf einen paternalistisch-islamischen Kulturhintergrund zurückgeführt werden kann. Wer glaubt, dies einfach übergehen zu können, für den könnte die Zukunft schmerzhafte Erkenntnisse bereithalten.

Foto: Warten in einer Arbeitsagentur: Fünfzig Euro im Monat mehr dank Hartz IV

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