© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/10 22. Januar 2010

„Das war ein Verbrechen“
Gedenkpolitik: Die Umdeutung der Erinnerung an die Zerstörung Magdeburgs für den „Kampf gegen Rechts“ stößt auf wenig Resonanz
Clemens Taeschner

Wir können diese Demonstrationen nicht verbieten – noch nicht.“ Die nachgeschobene Einschränkung des Magdeburger Oberbürgermeisters Lutz Trümper (SPD), der am vergangenen Sonnabend die „Meile der Demokratie“ eröffnete, ist bezeichnend. Es ist der 16. Januar, der 65. Jahrestag der Zerstörung Magdeburgs durch alliierte Bomber. Trümpers Bemerkung richtet sich gegen die „Initiative gegen das Vergessen“ aus dem NPD-Umfeld, die an diesem Tag rund 1.000 Demonstranten zählt. Damit dieser „Aufmarsch“ nicht durch das Stadtzentrum zieht, hat das Magdeburger „Bündnis gegen Rechts“ den Breiten Weg zur „Meile der Demokratie“ erklärt. Diese, so der Oberbürgermeister, solle „zeigen, daß alle Menschen in dieser Stadt das gleiche Recht haben. Dafür stehen wir ein.“ Dieses „wir“ repräsentiere 95 Prozent der Magdeburger Bevölkerung. Der Eröffnungsrede folgten kaum hundert Leute.

Als das Stadtoberhaupt noch anfügt: „Alle sagen Nein zu rechtem Gedankengut“, ist das nur konsequent. Denn der Euphemismus der Veranstalter besteht ja darin, einerseits zu „zeigen, daß wir tolerant sind“, andererseits aber zu beschwören, daß diese Straße „nicht für Rechte zur Verfügung“ stehe, wie Trümper im Vorfeld verkündet hatte. Unterstützung kommt dabei von anti-nationalen Gruppen, die sich neben der Bühne mit ihren Transparenten aufgestellt haben. Auf einem steht: „Oma war Trümmerfrau. Zu Recht!“ Ein anderes mit dem zynischen Titel „Bombenstimmung“ nennt wie Tourneedaten die zerstörten Städte Deutschlands und schließt mit der Forderung: „The show must go on“.

Zwei alte Magdeburgerinnen, die im nahegelegenen Einkaufszentrum eine Pause einlegen, haben dafür nur ein Kopfschütteln übrig. Beide sind heute 87 Jahre alt und hatten die Bombardierung ihrer Heimatstadt noch selbst erlebt. „Die Linken“, winkt eine der beiden älteren Damen ab, „die haben so was doch gar nicht mitbekommen.“ Sie erzählt von dem „Scholz Café“, dessen Kundschaft zum Großteil Soldaten waren, „denn Magdeburg war seinerzeit Garnisonsstadt. Die Kellner wollten noch die Rechnungen abkassieren, deshalb konnten die Soldaten nicht in die Luftschutzkeller, deswegen sind alle verbrannt.“ Tage später sei der Breite Weg wie der Harz gewesen, „nur Berg und Tal“, eine Masse „aus Steinen, Wohnungseinrichtung und Leichen“. Vor ihren Augen sieht die alte Dame noch den „LKW mit Kohlenanhänger, auf dem lauter verkohlte Leichen“ lagen. Auch die Zerstörung Halberstadts hat sie von einer Anhöhe aus mit angesehen: „Da haben wir geguckt, einen Tag vor Ostern, wie am hellichten Tag Bomber über Halberstadt geflogen sind, die Bomben sind gefallen wie aus einer Gießkanne.“

Doch die Erlebnisgeneration ist für das offizielle Gedenken nur störend. Offenbar wird die Absurdität, als der Landtagspräsident das Podium betritt. Zuvor hatte der Bürgermeister für diesen Tag noch „Spaß“ gewünscht und das Polizeiorchester Jazz-Nummern geschmettert: „Ain’t She Sweet“ und „Fever“. Ein Vater versucht, seine Tochter zum Klatschen zu ermuntern. Von den „Demokraten“ dieses Tages bemerkt das freilich niemand. So erklärt Landtagspräsident Dieter Steinecke (SPD), Schirmherr des Netzwerkes für Demokratie und Toleranz in Sachsen-Anhalt, vollmundig, „auf Erinnerung zu bestehen, das ist schon Widerstand“. Denn zu Recht müsse man fragen, warum Großmutter Trümmerfrau war. Freilich meint er genau das Gegenteil jenes Magdeburgers, der mürrisch an dieser Bühne vorbeizieht und mit Blick auf die Zerstörung Magdeburgs frei heraus sagt: „Das war ein Verbrechen“, und schließlich resignierend: „Das ist die Macht der Sieger. So ist das.“

Am Hundertwasserhaus, in der Nähe des Magdeburger Doms, präsentiert sich die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland. Vor dem Dom ist ein Transparent gespannt mit der Botschaft: „Rechtsextremismus und christlicher Glaube sind unvereinbar“. Einige hundert Meter weiter präsentiert sich die Gewerkschaft der Polizei, die Broschüren über Rechtsextremismus ausgelegt hat. Seltsam erscheint angesichts dessen das Plakat am dazugehörigen Polizeiwagen, auf dem ein brennendes Polizeiauto zu sehen ist mit dem Aufruf: „Keine Gewalt gegen Polizisten!“ Eine Gruppe linksextremer „Autonome“ bleibt vor dem Auto stehen und macht sich über die Polizei lustig. Nur wenige Schritte entfernt prangt an einer Bushaltestelle neben dem Aufkleber „Nazis stoppen“ auch ein frischer Street-Art-Sticker mit dem Motto „Bullen töten“.

Der Versuch der Veranstalter, auf der zwei Kilometer langen „Meile der Demokratie“ eine Menschenkette zu bilden, scheitert indes kläglich. Von den angeblich 5.000 Teilnehmern, die am nächsten Tag in der Presse vermeldet werden, ist nur ein Bruchteil zu sehen. Der Großteil sind Passanten, die zufällig auf dieser Strecke unterwegs sind – so auch ein älteres Ehepaar, das in der Nähe des Doms wohnt. Angesichts der öffentlichen Finanzknappheit halten sie diesen Aktionstag für „viel zuviel Aufwand“. Zudem hätten die Bomber damals ja das falsche Ziel getroffen, die Industrie- und Militäranlagen seien fast alle verschont geblieben. Auch eine Familie aus dem Umland, die zum Einkaufen in die Stadt gekommen ist, ist irritiert und findet das „alles übertrieben“.

Foto: Linksextremisten feiern in Magdeburg die Zerstörung deutscher Städte: Die Erlebnisgeneration stört nur

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